Als klassentiefster Spieler das Hauptfeld erreicht, einen Satz gegen den späteren Sieger Patrick Baum gewonnen. Im Doppel Steffen Mengel und Benedikt Duda niedergekämpft –  gleichbedeutend mit dem Viertelfinaleinzug im Doppel bei Deutschen Meisterschaften. Was sport24-fieber-Autor Torsten in Bielefeld erreicht hat, ist nur mit einem Wort zu beschreiben: Wahnsinn! Doch der Erfolg kommt nicht von ungefähr, bei genauerem Blick auf das „wie“, sind die Siege bei der Hessenmeisterschaft und jetzt am Wochenende sogar erklärbar und können jedem Tischtennisspieler, egal ob Kreisliga oder Bundesliga, Mut machen für eine erfolgreiche sportliche Zukunft.

Von Jannik Schneider

„Da siehst du, was es ausmacht, wenn man ohne Druck aufspielen kann – er wird das Finale auch noch gewinnen.“ Das waren exakt die Worte, die Thomas Schneider vom TV Haiger kurz vor dem Finale bei den Hessischen Einzelmeisterschaften wählte, als er an meiner Coachingzone vorbeilief . Der Vater und Trainer seiner drei erfolgreichen Kinder hatte wie ich aus nächster Nähe an zwei Tagen im Januar in Bad Hersfeld erleben dürfen, wie mein „Schützling“ sich überraschend ins Finale vorspielte und sich mit einer fast schon unverschämten Selbstverständlichkeit von Match zu Match steigerte. Ganz so euphorisch wie Schneider war ich dennoch nicht.
Nun, zwei Monate später wissen wir alle, wie es ausgegangen ist. Torsten hat sich nicht nur den Hessenmeistertitel gesichert, er hat den ambitionierten Zweitligaprofi Dominik Scheja beim 4:0-Erfolg im Finale – so hart es klingt – demontiert. Scheja war im gesamten Turnierverlauf stets Favorit, souverän waren seine Auftritt jedoch nicht – es wurde ein harter Kampf bis ins Finale. Die Pflicht gewinnen zu müssen, das war offensichtlich, hemmte den 19-Jährigen. Ich kenne Dominik nicht persönlich. Aber es ist offensichtlich, dass er hart für sportlichen Erfolg arbeitet, sehr hart. Seine Vor- und Nachbereitung bei Wettkämpfen ist professionell und vorbildlich. Mit diesem Auftreten steigt jedoch automatisch die Erwartungshaltung, der Druck von außen – aber auch der Druck, den man sich persönlich macht. Und dann steht man im Finale einem selbsternannten „Hobbyspieler“ gegenüber, der seine vor Jahren hart antrainierten spielerischen Fähigkeiten gepaart mit jeder Menge Talent und cleverem Spielverständnis beliebig auspackt – eine undankbare Aufgabe.

Ein Zusammenschnitt des Finals bei den Hessischen Meisterschaften

Ein Platz bei den Deutschen Meisterschaften am Wochenende in Düsseldorf war Scheja, wie Torsten natürlich auch, trotzdem sicher. Und der Zweitligaspieler aus Obererlenbach agierte spielstärker als noch in Bad Hersfeld, schaffte nach einer guten Vorrunde den Sprung ins Hauptfeld, wo er sich dem späteren Filusbezwinger Lei Yang erst im Entscheidungssatz nach toller Leistung geschlagen geben musste. Dabei wirkte der Rechtshänder deutlich befreiter. Der Druck, unbedingt gewinnen zu müssen, war beim national bedeutendsten Event nicht omnipräsent.

“Weiß nicht, ob es guttut, mehr zu trainieren“

Diese für Scheja nicht alltägliche Situation ist für Torsten seit mehr als zwei Jahren Alltag. Ein Alltag, der ihm sichtlich guttut. Beim offiziellen Interview mit der Fuldaer Zeitung nach dem erneut starken Auftritt in Bielefeld antwortete er am Sonntag in bemerkenswert ehrlicher Art und Weise auf die Frage, ob es ihn wieder reize sportlich und trainingstechnisch anzugreifen: „Ich glaube nicht, dass es mir und meinem Körper guttut, wieder mehr als zweimal, maximal dreimal wöchentlich zu trainieren.“ Der 22-Jährige hat das lange genug getan, der Leistungssport prägte seine gesamte Jugend. Sein Körper hat dem Ganzen später irgendwann in Form von Verletzungen und Krankheiten Tribut gezollt. Nicht jeder ist für diese Art von Anstrengung und Druck gemacht. Deswegen hat Torsten sich vom Leistungssport verabschiedet und damit abgeschlossen.
Als ich ihn Ende 2014 kennenlernte, hatte er in etwa so viel Lust auf Tischtennistraining, wie ich auf einen Besuch eines Spiels von Mainz 05. Zu dieser Zeit lernte er andere Seiten unseres Sports kennen. Etwa wie es ist, in einer funktionierenden Mannschaft bei seinem Heimatverein TLV Eichenzell spielen zu dürfen, in der Zusammenhalt auch außerhalb des Tisches wichtiger ist, als eine perfekte Beinarbeit. Rasch kehrte die Lockerheit zurück und damit auch der Spaß an unserem Tischtennissport – wegen dem haben wir übrigens alle irgendwann mal damit angefangen – das vergisst man im Einzelsport ja mal schnell ;).

Philipp & Samy vom TLV feuerten an

Mit Spaß investiert man freiwillig auch wieder mehr in sein Hobby. So konnte ich ihn – damals aus eigenem Interesse für meine Ziele im Behindertensport – wieder für mehr Trainingseinheiten gewinnen. Wenig später folgten Juxteilnahmen bei Kreis- und Bezirksmeisterschaften, nur so wurde der Auftritt bei den „Hessischen“ überhaupt möglich. „Wie, bist du wieder da? Sehr cool“, überraschte und erfreute Blicke zugleich begegneten uns in Bad Hersfeld zu Hauf. Nach dem Wochenende waren alle einfach nur beeindruckt und konnten sich ehrlich mit Torsten freuen, der noch immer einen ausgezeichneten Ruf in der Szene genoss.

Die Kunst, befreit aufzuspielen

Diese positive Einstellung zu seinem Sport, die Lockerheit, hat er sich bis zu den Deutschen Meisterschaften bewahrt. Ich kann es nicht komplett ausschließen, bin mir aber sehr sicher: Druck hat er sich selbst keinen gemacht. Stattdessen hat er eine gesunde Portion Selbstvertrauen ausgestrahlt und jede Menge Vorfreude. So haben wir bis 20 Minuten vor dem ersten Einzel in der Vorrunde noch zusammen gechillt, Witze gemacht, einfach eine gute Zeit gehabt. Torsten hatte mehrere Wochen am Stück jeweils zwei bis dreimal meist mit Spielern auf Verbandsliganiveau trainiert – das ist für ihn viel, für die meisten seiner Gegner am Wochenende eher ein Witz.
Doch auch dieses Mal „fuchste“ er sich ins Turnier rein, steigerte sich innerhalb der Sätze, fand spielerische Lösungen und gewann – wirklich – jeden knappen Satz.

Die entscheidenden Ballwechsel um den Einzug in die Hauprunde im Spiel gegen Dierks

Als Belohnung dafür winkte ein Hauptrundenticket und ein Duell mit dem späteren Sieger Patrick Baum.
Das nahm das Portal des Deutschen Tischtennisbundes (DTTB) tischtennis.de zum Anlass, Torsten ausführlich zu porträtieren. Somit war der Student der Sportökonomie vielen der mehr als 1200 Zuschauer (die heftige 23 Euro Eintritt an der Tageskasse zahlen mussten) am Samstag plötzlich ein Begriff – und der Eichenzeller arbeitete weiter an seinem neugewonnenen Ruf. Mit Doppelpartner Marlon Spieß, Drittligaspieler aus Grünwettersbach, setzte er sich zunächst in vier knappen Sätzen gegen zwei favorisierte Zweitligaspieler aus Bayern durch und sorgte dann für die größte Sensation des gesamten Wochenendes. In einer hochdramatischen Begegnung besiegten sie die Titelverteidiger und Bundesligaakteure aus Bergneustadt, Steffen Mengel und Benedikt Duda, mit 11:9 im Entscheidungssatz. „Ich habe die ganze Zeit gedacht, dass die beiden noch zulegen können, wenn es ernst wird“, resümierte Torsten gegenüber der Fuldaer Zeitung.

Wie geht man das Spiel seines Lebens an?

Doch stattdessen wurden die Nationalspieler immer „eisiger“, wie Tischtennisspieler Nervosität gepaart mit ungeschmeidigen Schlägen gerne nennen. „So konnten wir unsere Chance nutzen – ein klassischer Überraschungscoup“, freute sich Torsten, der sich plötzlich Hoffnungen auf eine Medaille machen durfte. Die waren nach einer glatten Viersatzniederlage am Abend gegen den ehemaligen Nationalspieler Zoltan Fejer-Konnerth mit Doppelpartner Dennis Müller jäh beendet. „Ich war nach den kräftezehrenden zwei Tagen platt, konnte nicht mehr an die Leistungen aus den Matches zuvor anknüpfen“, erklärte der Rechtshänder. Nachvollziehbar, denn zwischen den beiden so unterschiedlichen Doppeln stand für Torsten das wohl größte Spiel seiner Karriere auf dem Zeitplan. Mit dem Weltranglisten 54. Patrick Baum hatte er das schwerste Los des Turniers gezogen. „Ich habe das aber als Belohnung für die erfolgreiche letzte Zeit gesehen und konnte das Spiel gegen einen Weltklassemann vor so vielen Zuschauern voll genießen“, sagte der 22-Jährige, der dem Nationalspieler nach einem Satz Eingewöhnungszeit echte Gegenwehr leistete. Belohnt wurde er dafür mit dem Gewinn des vierten Durchgangs – es blieb bis zum Halbfinale der einzige Satzverlust für den Ex-Maberzeller Baum.

Links Torsten im Match gegen Patrick Baum

Nun ist mir auch klar, dass nicht jeder Spieler zu solch einer Leistung fähig ist, nur weil er es packt, sich vom Druck zu befreien. Aber von Torstens Umgang mit dem Sport am, aber auch außerhalb der Spielerbox, können wir uns alle – egal ob in der Kreisliga oder in der Bundesliga – etwas abschauen. Gerade Spieler, die viel trainieren, um besser zu werden, sind am Tisch oft zu verbissen, wollen den Erfolg um jeden Preis und werden ganz oft enttäuscht. Denn klar ist auch: Turniere laufen nicht immer so, wie die letzten beiden von Torsten. Enttäuschungen gehören im Einzelsport dazu und der Umgang damit muss gelernt sein. Tischtennisspieler neigen dazu, zu verkrampfen, können Spiele nicht mehr genießen. In diesem Punkt kann ich viel von meinem sport24-fieber-Kollegen lernen. Ich habe neben meinem Vollzeitjob über Monate übermäßig viel in diesen Sport investiert, um international im Behindertensport durchzustarten und ich wurde mit bitterbösen Niederlagen enttäuscht. Teilweise, weil ich einfach nicht gut genug war – aber viel schlimmer: Teilweise, weil ich mich zu sehr unter Druck gesetzt habe, nicht meine Leistungsgrenze erreichte. Ich habe den Sport nicht mehr gerne ausgeübt, ich habe ihn gehasst. Die Folge war der Rückzug aus dem Behindertensport. Training kannte ich zuletzt nur noch aus Erzählungen, was eine durchwachsene Saison in der Verbandsliga zur Folge hatte. Erst durch Torsten habe ich wieder gemerkt, wie es ist, Spaß am Tischtennis zu haben. Seitdem trainiere ich wieder gerne, habe Erfolg in der Liga und werde am Wochenende erstmals seit laaanger Zeit wieder an einem Turnier teilnehmen – und das will ich bei jedem Ballwechsel genießen.
Wenn Tischtennisspieler oder Einzelsportler generell – bei all dem Aufwand, den sie mitunter betreiben, diese Attribute beherzigen, werden sie unabhängig vom Niveau den wohl größten Erfolg feiern. Den zurückgewonnenen Spaß am Sport.

 

 

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