Obwohl Jan Ove Waldner die vergangenen zwei Jahre ohnehin nur noch sporadisch für seinen schwedischen Heimatclub Spårvägens BTK aufschlug, hat die Bekanntgabe seines offiziellen Karriereendes weltweit für Aufsehen gesorgt. Der „Mozart des Tischtennis“ ist eben nicht nur einer der vielen ehemaligen Weltklassespieler. Waldner hat den Sport mit seiner Spielweise  revolutioniert und damit die asiatischen Spieler jahrelang dominiert. Sport24-fieber erinnert an die Legende und an den – aufgepasst –  Teamkollegen Jan Ove Waldner.

Von Torsten Mähner und Jannik Schneider

Denn Teile des sport24-fieber Teams befinden sich im elitären Kreise derer, die behaupten können, mit dem bemerkenswertesten Tischtennisspieler  aller Zeiten in einem Team gespielt zu haben. Zugegeben: Waldner und unser Autor Torsten begegneten sich alles andere als auf Augenhöhe, als letzterer im Jahr 2008 mit dem Ziel, von den Profispielern zu lernen, zur zweiten Mannschaft des TTC RhönSprudel Fulda-Maberzell und damit in den erweiterten Kader der ersten Mannschaft aufgerückt ist. Andererseits: Es gab zu dieser Zeit auch nicht viele Weltklassespieler, die selbstbewusst gesagt hätten, sie begegneten dem Schweden auf Augenhöhe. Wer agiert schon auf Augenhöhe mit dem Größten aller Zeiten? Zu mächtig war die Ausstrahlung, die den Olympiasieger und Weltmeister auch mit 42 noch immer begleitete. Seine Aura beeindruckte viele Menschen, manchmal verunsicherte sie auch.

Unwirklich und Beeindruckend zugleich: Der beste Tischtennisspieler aller Zeiten in der Provinz

Das konnte auch Torsten in den fünf Jahren in Fulda das ein oder andere Mal begutachten. Schon bei „Waldis“ erstem Spiel in der fuldischen Provinz sei in der Bundesligahalle von Fulda-Maberzell alles anders als sonst gewesen , berichtet er: Die Erinnerungen an das Spiel haben sich bei mir eingebrannt. Der Tag im Frühherbst 2005, war der Einzige, an dem ich beim Tischtennis wirklich Gänsehaut hatte. Das lag nicht am kurz zuvor finalisierten Wiederaufstieg ins Tischtennis-Oberhaus, der die Halle des TTC zuschauertechnisch aus allen Nähten platzen ließ. Der Grund für das enorme Interesse und meinen Gemütszustand war Waldner. Zwar wurde der spektakuläre Wechsel nach Osthessen schon Monate vorher durch die regionalen und auch überregionalen Medien verkündet, doch so richtig glauben konnten das die Fans erst, als er just an diesem Tag, vom frenetischen Hallensprecher vorgestellt und mit passender, pompöser Musik in die Halle einmarschierte. Die lebende Legende spielte nun für einen, mit allem Respekt, Provinzverein aus einem kleinen Fuldaer Stadtteil – irgendwie unwirklich und beeindruckend zugleich. Zu diesem Zeitpunkt hätte wohl niemand gedacht, dass der damals 40-Jährige  in Fulda nochmal eine 7-jährige Ära prägen würde.

Seit gestern Abend, 11 Jahre später, ist Waldners Profikarriere Geschichte. Im Alter von 50 Jahren hat „Waldi“ für seinen Heimatverein Spårvägens BTK sein allerletztes Pflichtspiel bestritten. Es sind vor allem, aber natürlich nicht nur, seine unzähligen Erfolge, die für immer in Erinnerung bleiben werden. Sie alle aufzuzählen würde einen eigenen Text erfordern: Einzel-Olympiasieger, sechsfacher Weltmeister, zehnfacher Europameister, siebenmal hat er das Europe Top 12-Ranglistenturnier gewonnen. Mehr noch als diese Erfolge ist es die unnachahmliche Eleganz, gepaart mit einer manchmal beängstigenden Lockerheit und Genialität am Tisch, die Waldner zu der Tischtennis-Ikone hat aufsteigen lassen, für die er heute gefeiert wird.

Die besten Szenen aus Waldis Karriere in einem Video

Früh wurde deutlich, dass der gebürtige Stockholmer das Talent hat, Großes zu erreichen. So gewann er 1981 mit 15 Jahren gegen mitunter deutlich ältere Gegner die Goldmedaille im Einzel bei den Jugend-Europameisterschaften und verteidigte diesen Titel zweimal. Es war der Start einer – aus sportlicher Sicht – Bilderbuchkarriere, in der er vor allem den Spielern der Tischtennismacht China das Fürchten lehrte. Verlor er zwei Jahre zuvor noch das Einzelfinale,  brach der Schwede 1989 den Bann und holte sich nach vier  chinesischen Titelträgern in Folge zum ersten Mal Einzelgold bei den Weltmeisterschaften. Der Triumph acht Jahre später ist bis heute in aller Munde: Er holte sich den Titel ohne einen einzigen Satzverlust und sorgte dafür, dass nur sechs der sieben ausgespielten Goldmedaillen ins Reich der Mitte gingen. Ähnliches Bild dann bei seinem Olympiasieg 1992: Nur er konnte in die Phalanx der Chinesen einbrechen und ihnen eine Goldmedaille wegschnappen. Diese Erfolge brachten ihn in China zu großer Bekanntheit und zu großem Ruhm: Er war der erste Ausländer, der auf einer chinesischen Briefmarke abgebildet war.

Drop-Shots, abgestochene Rückhandblocks und No-Look Shots

Doch nicht nur seine Erfolge waren einzigartig, seine Spielweise war es auch. Dabei ließ er Tischtennis so einfach und seine Gegner meistens so alt aussehen. Der Betrachter hatte das Gefühl, dass der liebe Gott sämtliches Ballgefühl auf diesem Planeten gesammelt und es Jan-Ove Waldner in die Wiege gelegt hatte. Kein Spieler konnte den kleinen Zelluloidball „so früh nehmen“ und dabei so perfekt kontrollieren wie Waldi. Es waren die sogenannten „Drop-Shots“, die er vor allem als Waffe gegen Abwehrspieler oder Gegner benutzte, die weit hinter dem Tisch agierten. Oder abgestochene Rückhandblocks, bei denen er das Handgelenk im richtigen Moment derart beschleunigte, dass die gegnerischen Topspins mit unangenehmen Unterschnitt zurückkamen. Und nicht zuletzt die spektakulären „No-look Shots“, mit denen er gleichermaßen die Gegner verwirrte und die Zuschauer dadurch begeisterte, dass er bei der Ausführung des Schlages genau in die Richtung schaute, in der er den Ball nicht befördert hatte.

Waldis letztes Match (inklusive No-look Shot bei 1:17)


Diese Art von Schlägen kann man trainieren, aber auf dem Niveau ausführen und in den richtigen Momenten einsetzen wie Waldner, das kann niemand. Diese Skills hat man oder nicht; und Waldi hat sie. Deswegen war er auch in der späten Phase seiner Karriere bei Fulda-Maberzell trotz der ein oder anderen ausgelassenen Trainingseinheit und eines kleinen Bauchansatzes immer noch der absoluter Publikumsmagnet. Zur Legendenbildung bei trug zudem die sensationelle Leistung Waldners bei den olympischen Spielen in Athen 2004 . Er verpasste Bronze im fortgeschrittenen Alter im kleinen Finale nur knapp. Auf dem Weg ins Halbfinale gelangen ihm nicht mehr für möglich gehaltene Siege über Timo Boll und den chinesischen Superstar Ma lin. Der Respekt der Gegner zu seinem Antritt in der Bundesliga 2005 war dementsprechend hoch, auch wenn er mit der Zeit natürlich immer weniger Spiele gewann und hier und da mit einigen Wehwehchen zu kämpfen hatte.

Kein Mann der großen Worte

Dem Mythos Waldner tat das keinen Abbruch. Neben seinen herausragenden Triumphen liegt dieser wohl auch darin begründet, dass Waldi kein Typ ist, der viel redet oder kommuniziert. Er ist ein ruhiger Zeitgenosse, kein Mann der großen Worte, wie Torsten aus seiner Zeit in Fulda zu berichten weiß: „Es ist nicht leicht, auf eine Legende den ersten Schritt zuzugehen. Erst recht nicht, wenn du ein Nachwuchsspieler bist, der den spielerischen Anschluss an die Topspieler in der Mannschaft längst nicht gefunden hat. Waldner war aber generell kein Typ, der auf andere zugeht. Er wusste, was er erreicht hatte und was er ausstrahlte – Arrogant war er deshalb keineswegs. Sich viel auszutauschen, war einfach nicht sein Ding. Hochgerechnet kamen wir in fünf gemeinsamen Vereinsjahren so nur auf wenige Gespräche und gar nur zwei gemeinsam geschlagene Bälle am Tisch zu Belagstestzwecken.“
In Schweden lieben sie diese stille Helden, die nicht viel reden. Er reiht sich ein in Reihe ähnlicher Zeitgenossen wie Björn Borg oder Ingemar Stenmark. In einer Umfrage wurde Waldner zum zweitgrößten Sportler Schwedens aller Zeiten gewählt. Nur Stenmark steht über ihm.

Die Spielsucht therapieren lassen

Gelebt jedoch hat Waldner anders. Er hat die Privilegien seines Ruhms durchaus genossen, bei Partys war er nie der Erste, der gegangen ist. Er war kein Vorzeigeprofi, der sich hinsichtlich des Alkoholkonsums oder anderen Genussmitteln in Askese geübt hat. Auch nicht in seinen sieben Jahren in Fulda. So war er auch nach den Spielen mit dem ein oder anderen Bierchen in der Hand oft in angesagten Fuldaer Clubs zu finden. Eine Geschichte, die sich bis heute hartnäckig in Osthessen gehalten hat: Als „Waldi“ – für ihn unverständlich – nicht in einen Club reingelassen wurde, soll er sich in seine Wohnung zurückgefahren haben lassen, um lebensgroße Pappaufsteller mit seinem Antlitz und seinen Erfolgen zu holen. Zurück an der Location habe er diese dann den Türstehern gezeigt, um ihnen klarzumachen, wer hier eigentlich vor ihnen steht. Eines ist sicher: Tischtennisfans waren diese Jungs sicher nicht.
Angst in diesen Partynächten von der Polizei angehalten zu werden brauchte der Schwede nicht zu haben, da er bis heute keinen Führerschein besitzt. Fuldas Vereinsführung  organisierte für Waldi stets einen Fahrdienst und half ihm auch bei vielen weiteren Dingen des alltäglichen Lebens. Denn auch Legenden sind nur Menschen und Menschen haben Schwächen. Waldner war ein Zocker. Dass er sich dort nicht mehr unter Kontrolle hatte, wussten viele – geändert hat sich erst dann etwas, als er bereits viele Prämien beim Glücksspiel verloren hatte. Waldners eigene Einsicht rettete ihn. Er ließ seine Spielsucht therapieren.

Im Jahr 2016 geht es Waldner blendend, auch finanziell. Der Spiegel schrieb diese Woche: „Als einer von wenigen Ausländern bekam er die Konzession, in Peking eine Bar zu eröffnen. 2013 widmete ihm die chinesische Post eine eigene Briefmarke. Das war bisher noch überhaupt keinem Nicht-Chinesen vergönnt gewesen. Sie haben ihm den Ehrentitel „Lao Wa“ verliehen, das heißt: Der immer blühende Baum. Heute ist Waldner ein gut verdienender Geschäftsmann, und auch das hat viel mit China zu tun. Schwedische Unternehmen wie Ikea nutzen seinen Namen und seine Kontakte, um auf dem fernöstlichen Markt zu punkten. Waldner hat sich das gut bezahlen lassen, er hat ausgesorgt. Das können auch nicht viele Tischtennisspieler von sich behaupten.“

Zu Waldner passte auch die Art und Weise seiner Rücktrittserklärung. Ein einfacher, kurzer Facebookpost zu Wochenbeginn: „Am Donnerstag absolviere ich mein letztes Spiel“. Das wars, keine großen Worte. Trotzdem oder gerade deswegen fieberten viele gestern in der kleinen Halle und an den Bildschirmen ( Der schwedische Verband hatte einen Stream organisiert) mit dem Schweden, der ein Einzel knapp für sich entscheiden konnte. Am Tag danach bedankte er sich via Facebook für die tolle Unterstützung in seinem letzten Wettkampfspiel:


So ziehen auch wir von sport24-fieber den Hut vor Jan Ove Waldner, mit dem Torsten übrigens dann doch einmal zusammengespielt hat: In der Champions League, 2010 gegen Levallois: „ An eine Sache von diesem besonderen Tag, erinnere ich mich gerne. Verletzungsbedingt kam ich zu meinem ersten Profieinsatz. Ich verlor mein Einzel klar in 3 Sätzen. Auch Dank Jan Ove gewannen wir aber insgesamt mit 3:2. Trotz meiner klaren Niederlage sprach er vor versammelter Runde mit einem Augenzwinkern: „Never change a winning team“.
Nun ist es vorbei. Bleibt zu hoffen, dass er sein Können in Zukunft möglichst oft bei Showmatches zeigt. Dass er es noch lange nicht verlernt hat, zeigte er erst kürzlich mit weiteren Stars wie Jörgen Persson oder J.M.Saive auf der ITTF Legend Tour. Seine 35-Jährige Pflichtspielkarriere ist nun Geschichte. Aber es ist eine, die es wert ist immer und immer wieder erzählt zu werden.

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