Abgesehen vielleicht von den Fußballern haben dieses Jahr alle Leistungssportler nur eines im Kopf: Rio de Janeiro. Zumindest jene, die sich noch für die olympischen und paralympischen Spiele in Brasilien qualifizieren wollen. Die Qualiphase haben die beiden Behindertensportler Stephanie Grebe und Holger Nikelis bereits erfolgreich hinter sich gebracht. Doch wenn die Nationalspieler ab heute beim ersten Tischtennis-Weltcup des Jahres im italienischen Lignano aufschlagen, sind die Paralympics stets im Hinterkopf.
Die Ergebnisse der Deutschen beim Jugendweltcup, der am Montag und Dienstags erstmals ausgetragen wurde, gibt es weiter unten im Text.
Denn im Behindertensport ist die Fokussierung und die Spezialisierung auf die Sommerspiele, die nur alle vier Jahre ausgetragen werden, nochmals extremer, als auf das Pendant im Nichtbehindertensport. In erster Linie liegt das an der medialen Berichterstattung und der Präsenz der Medien vor Ort. Die Spiele sind die einzige wirklich faire Chance, Aufmerksamkeit in der breiten Öffentlichkeit zu erhalten.
Das heißt natürlich nicht, dass die Sportler die restlichen drei Jahre die Füße hochlegen können. Im Gegenteil: Die Professionalisierung im paralympischen Sport ist immer weiter vorangeschritten. Länder wie Großbritanien, die Niederlanden, Belgien, die Ukraine und die Asiaten haben Strukturen geschaffen, die aus Tischtennisspielern Profis, mindestens aber mal Halbprofis haben werden lassen. Die Deutschen, die im Alltag alle einer geregelten Arbeit nachgehen (müssen), müssen kreativ sein, um dagegen zu halten.
„Ich habe leider nicht die Möglichkeit, mich zumindest in diesen entscheidenden Monaten vor Rio von der Arbeit freistellen zu lassen, um mich nur auf das Training zu fokussieren“, berichtet Stephanie Grebe. Sie geht ab heute in der Wettkampfklasse 6 (Klasse bei den Stehenden, mit den stärksten Einschränkungen) an den Start. Die 28-Jährige ist mit einer Amelie beider Hände zur Welt gekommen. Zudem fehlt ihr der rechter Unterschenkel. Für letzteres und für den Schlagarm benutzt sie Prothesen. Um das fehlende Handgelenk zu kompensieren, spielt sie Noppen – also einen Störbelag – auf der Rückhand. Bei den olympischen Spielen vor vier Jahren erreichte sie bereits das Halbfinale, in dem sie einer Ukrainerin unterlag:
Vor oder nach ihrer Arbeit als Arbeitsvermittlerin – zuvor hat sie Sozialökonomie mit Schwerpunkt Arbeitsrecht studiert – steht sie in der Halle. „Ich kann mir die Arbeit ganz gut einteilen und für das große Ziel Rio nehme ich die Doppelbelastung gerne in Kauf“, spricht sie den Grundgedanken wohl aller Deutschen Tischtennisspieler aus. Da sie gerade mitten in der Saison sei – Grebe schlägt im Nichtbehindertensport in der Landesliga auf – und sie zurzeit viele wettkampfnahe Übungen im Training absolviere, habe sich ein Start beim ersten Weltcupturnier des Jahres einfach angeboten, betont sie. „Ich bin gut drauf und will das jetzt in Italien endlich auch wieder im Behindertensport zeigen“, sagt die Vizeweltmeisterin von 2014 selbstbewusst. Eine Medaille in Rio, die ihr in London noch verwehrt blieb, wäre der vorläufige Höhepunkt ihrer Karriere. Aktuell geht es aber darum, die Vorrundengruppe beim Weltcup in Italien erfolgreich zu gestalten. Das erste Spiel hat Grebe um 11.30 Uhr. Hier geht es zu der Auslosung und den Liveergebnissen. Hier gibt es einen Livestream aus Italien.
Zum Inventar der Tischtennis-Nationalmannschaft gehört auch Holger Nikelis. Während viele Teamkollegen erst beim nächsten Weltcup in die Saison starten, ist er wie Grebe ebenfalls nach Italien gereist. Der Paralympicssieger im Rollstuhltischtennis der Wettkampfklasse 1 (stärkste Einschränkungen der Rollstuhlfahrer) von 2004 und 2012 musste wegen einer hartnäckigen Verletzung fast ein Jahr pausieren. „Für mich geht es in Italien darum, zu sehen, wo ich im Vergleich zu meinen Konkurrenten stehe“, erklärt der 38-Jährige. Dafür hat sich der Wahlfuldaer selbst freigegeben, denn er ist Inhaber einer Agentur, und treibt mit seiner Lebensgefährtin Linda das Behindertensportprojekt „sport grenzenlos“ voran. Nikelis startet heute um 10.30 Uhr ins Turnier. Außerdem am Start: Der geistig behinderte Tischtennisspieler Hartmut Freund. In der Wettkampfklasse 11 hat er Außenseiterchancen.
Ernst wird es heute auch wieder für die vier Nachwuchshoffnungen, die bereits beim neu ins Leben gerufenen Jugendweltcup an gleicher Stelle aufgeschlagen hatten. Für Marlene Reeg war erst im Halbfinale Endstation. Sie ergatterte Bronze. Sandra Mikloaschek wurde ihrer Favoritenrolle gerecht und zog problemlos in das Finale bei den Rollstuhlfahrerinnen ein. Dort musste sie sich allerdings geschlagen geben. Das Aus bereits in der Vorrunde ereilte etwas überraschend Lena Kramm und auch Lisa Hentig. Das Gute: Alle haben in den kommenden zwei Tagen die Chance, weiter eifrig Punkte für die Weltrangliste zu sammeln.
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