Wenn Angelique Kerber am deutschen Samstagmorgen (9.30 Uhr, Eurosport) im Finale der Australian Open auf niemand geringeres als Serena Williams trifft, gilt es für die Deutsche die nötige Lockerheit zu bewahren. Vielleicht hilft ihr die Erinnerung an eine einmalige und äußerst lustige Anekdote aus dem Jahr 1998. Damals wurde Williams auf dem Platz regelrecht vorgeführt; von einem Deutschen, der noch nicht mal richtig aufgewärmt war und nur so vor Lockerheit strotzte. Diese Demontage hatte sie sich mit einer kleinen Überdosis Selbstvertrauen selbst eingebrockt.

„Wenn man die Leute fragt, wer gewinnt: Dann sagen die meisten, Serena. Aber das ist meine Herausforderung“, erklärte Kerber vor dem bedeutendsten Match ihrer Karriere gegenüber der Deutschen Presseagentur. Williams selbst wird ebenfalls keine Zweifel haben, dass sie als Siegerin vom Platz gehen und den insgesamt 22.(!) Grand-Slam-Titel ihrer Karriere einfahren wird. An Selbstbewusstsein hat es der 34-Jährigen noch nie gemangelt, selten, dass sie ihren vollmundigen Ankündigungen keine Taten folgen ließ.
Einmal jedoch, während der Australian Open 1998, ist selbst der amerikanische Tennisstar übers Ziel hinausgeschossen und hat für eine der witzigsten Anekdoten im Tennissport gesorgt.
Die damals 16-Jährige Serena hatte sich während des ersten Grand Slam des Jahres zu der Aussage hinreißen lassen, dass sie einige Spieler jenseits der Top 200 der Herren-Weltrangliste besiegen könnte. Die Pressevertreter benötigten einige Augenblicke, bis sie realisierten, dass der Teenager diese Aussage ernst meinte. Mit der gewagten These löste der zukünftige Stern am Tennishimmel (damals im WTA-Ranking auf Position 53) eine große Debatte aus. Die Williamsschwestern trainierten zwar regelmäßig mit Männern und waren überdurchschnittlich muskulös und fit. Aber  professionelle Spieler des starken Geschlechts in Bedrängnis bringen – nein gar besiegen?

Die Rufe nach einem Matchup wurden immer lauter und es dauerte nicht lange, da handelten die Verantwortlichen der ATP und der WTA. Ein gewisser Karsten Braasch nahm die Herausforderung an. Der Deutsche befand sich in den Endzügen seiner Karriere und war bekannt als Lebemann. Braasch war in den Neunzigern ein richtiger Typ, quasi der Mario Basler des Tennissports. Er rauchte wie ein Schlot und gönnte sich hin und wieder ein Bier. Seine Markenzeichen waren seine Brille, der Schnurrbart, den er viele Jahre trug, und seine unkonventionelle Spielweise. Vor allem mit seinem Korkenzieher-Aufschlag sorgte er regelmäßig für Schmunzeln bei den Zuschauern.
„Zur Zeit der Australian Open 1998 haben die Williams-Schwestern, Venus und Serena, einigen Männern beim Training zugeguckt. Aus ihren Eindrücken waren sie überzeugt davon, dass sie einen Mann, der um Platz 200 in der Weltrangliste notiert war, schlagen könnten. Sie wollten ein Match arrangieren. Zu dieser Zeit stand ich auf Platz 203. Der Manager der ATP-Tour erwähnte die Möglichkeit dieser Herausforderung und dachte, dass ich der perfekte Kandidat dafür sei. Es brauchte wenig Überzeugungskraft. Es schien, dass es einige spaßige Angelegenheit werden würde“, erinnerte sich der Deutsche vor einiger Zeit in der britischen Zeitung „The Guardian“.

Eine Runde Golf und einige Radler zur Vorbereitung

Die besten Zeiten des – immerhin – ehemaligen Weltranglisten 38.  waren lange vorbei. Beim ersten Grand Slam des Jahres war er in der ersten Runde ausgeschieden.  „Mein Spiel gegen beide musste ein paar Mal umorganisiert werden. Die Vorbereitung ist wichtig. Man muss sich erinnern, dass solch ein Spiel unbeschwert ist. Es zu ernst zu nehmen, wäre ein Fehler“, berichtete Braasch in dem Interview von seiner Spielvorbereitung. So habe er am Morgen eine gemütliche Runde Golf gespielt und sich danach einige Radler gegönnt. „Ich tauchte auf dem Platz angemessen entspannt auf“, lautete seine lustige Analyse.
Braasch machte es sich zu Beginn des Spiels gegen Williams sogar zum Handicap, nur mit einem Aufschlag zu agieren. Dennoch wurde es mehr als eine einseitige Angelegenheit. . „Ich fühlte mich so entspannt, dass ich mich nicht mal richtig aufgewärmt habe. Wir haben angefangen zu spielen und ich raste zu einer 5:0-Führung. Zu diesem Zeitpunkt tauchte Venus auf, um es sich anzuschauen. Sie hatte gerade ihre Pressekonferenz nach ihrer Viertelfinal-Niederlage gegen Lindsay Davenport beendet. Schließlich habe ich mein Match gegen Serena mit 6:1 gewonnen“, zitierte ihn die englische Zeitung.

Serena Williams wusste nicht, wie ihr geschah. Sie fand keine spielerischen Mittel, um halbwegs konkurrenzfähig zu wirken. Total ernüchternd äußerte sie sich danach gegenüber Journalisten, wie das Tennisportal tennisnet.com berichtet:  „Es war sehr schwer. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwer wird. Ich habe Schläge gemacht, die auf der WTA-Tour Gewinnschläge gewesen wären, aber er hat sie einfach erreicht“. Es soll für Braasch sogar so einfach gewesen sein, dass sich Braasch während eines Seitenwechsels eine Zigarette angezündet habe, berichteten Augenzeugen. Livebilder von dem bis heute einzigartigen Aufeinandertreffen gibt es nämlich keine. Der Deutsche soll nicht annähernd sein bestes Tennis gespielt haben „Ich denke nicht, dass sie jemals einen Spieler in den Top 500 besiegen können, weil ich heute wie ein Typ, der auf Platz 600 notiert ist, gespielt habe“, erzählte Braasch den Journalisten hinterher. Dennoch hatte er lobende Worte für die Williams-Schwestern übrig.

„Das ist so nie passiert, okay?“

„Beide Schwestern sind tolle Tennisspielerinnen und schlagen den Ball extrem gut. Wie auch immer, wenn du auf der Herren-Tour spielst, gibt es gewisse Schläge, die man machen kann, um sie in Bedrängnis zu bringen. Versuche, viel Spin in den Ball zu bekommen. Ich habe den Ball mit einigem Spin versehen, den sie nicht jede Woche bekommen. Ein weiterer Schlüssel ist, jedem Ball hinterher zu rennen. In unserem Match haben sie Schläge in die Ecken platziert, die auf der Damen-Tour Gewinnschläge wären, aber ich konnte sie returnieren. Letztendlich habe ich gewonnen, aber weder ich noch Venus oder Serena haben das Match zu ernst genommen. Wir hatten einfach ein wenig Spaß“, lautete die sympathische Aussage nach dem Spiel.

Laut tennisnet.com  gab Williams wenig später bekannt, dass sie sich nun einen anderen Spieler suchen würden, der allerdings über Platz 350 in der Weltrangliste steht. Braasch nahm das zum Anlass, um zu scherzen. „Ich habe den Journalisten, der mir das erzählt hat, informiert, dass ich in der nächsten Woche viele ATP-Punkte verlieren werde und in der Rangliste hinter Platz 350 fallen werde. Ich habe ihm gesagt, dass, wenn Serena eine Woche warten würde, sie mich erneut herausfordern könnte. Das passierte aber nie, aber als ich ihre Schwester Venus ein paar Monate später bei den French Open sah, kam sie mit einem breitem Grinsen in ihrem Gesicht auf mich zu und sagte, ‚Du kennst die Sache in Australien – das ist nie passiert!‘

Viele Jahre später setzte Williams der Geschlechterdiskussion ein Ende. „Ich denke, dass Damen- und Herrentennis sehr verschieden sind. Männer sind einfach stärker als Frauen. Es ist so, als wenn man Äpfel mit Birnen vergleicht. Ich hätte niemals eine Chance gegen einen Mann innerhalb der Top 100″, erklärte die US-Amerikanerin damals. Mittlerweile hatte Williams nicht nur alle Grandslams gewonnen, sondern auch eine Menge Erfahrung und Demut.

Kerber entspannt vor ihrem ersten Grand-Slam-Finale

Genau mit diesen Attributen geht sie in das Endspiel gegen Kerber. Die Weltranglistenerste hat großen Respekt vor Kerber: „Sie ist sehr konstant – und hat mich schon einmal besiegt. Damals hat Angie sehr gut aufgeschlagen. Ich weiß, dass man sie sehr ernst nehmen muss. Unterschätzen gilt nicht”, sagte sie in der Abschlusspressekonferenz. Auch Kerber zog vor der 21-maligen Grand-Slam-Siegerin den Hut: „Sie ist die Nummer eins, sie ist der Champion, der alles gewonnen hat. Wenn ich zu kurz spiele, schießt mich Serena vom Platz. Sie schlägt unglaublich gut auf, die ersten Schläge in den Ballwechseln sind sehr wichtig.“
Die Weltranglistensechste betonte allerdings auch, dass sie entspannt in ihr erstes großes Finale gehe. Vielleicht kann sie sich ja von Braasch ein paar Tipps geben lassen; es müssen ja nicht gleich Golfspielen und ein paar Radler sein. Sport24-fieber drückt jedenfalls die Daumen für den ersten deutschen Grandslam-Sieger seit Steffi Graf 1999.