Erfolg ist planbar. Rückschläge gehören dazu, sind in den meisten Karrieren sogar fester Bestandteil, um ganz nach oben zu gelangen. Wenn ein Spitzensportler nur hart genug an sich arbeitet, wird er sich über kurz oder lang schon belohnen, heißt es. Belohnen heißt bei Einzelsportlern im Klartext: Auftrumpfen bei sportlichen Großereignissen, wie den Olympischen Spielen, oder den Welt und Europameisterschaften.

Lucas Fischer schien genau so eine Karriere vor sich zu haben. Die, eines besonders erfolgreichen Sportlers. Der Schweizer Kunstturner galt in seiner Heimat als „Jahrhunderttalent“, eine Welt-Karriere vorgezeichnet. Durch hartes Training wurde die Lücke zur Weltspitze immer kleiner. Sein Erfolg war planbar, dachten alle Beteiligten und wohl auch er selbst. Bis zum Jahr 2010:

Da erleidet der damals 20 jährige einen epileptischen Anfall im Wohnhaus seiner Eltern. Die Ärzte diagnostizieren mit dem „Grand Mal“, eine der bekanntesten Formen von Epilepsie. Auf neurologischer Ebene ist ein solcher epileptischer Krampfanfall eine Folge schlagartiger, synchroner Entladungen von Neuronen-Gruppen im Gehirn. Für Fischer bedeutet dies: Plötzliche Krämpfe in allen Muskelpartien, Schaum vor dem Mund und Bewusstlosigkeit.

Trotz starker Medikamente hat der 23-jährige bis heute sechs weitere Anfälle erleben müssen. Aufgrund der körperlichen und vor allem psychischen Folgen verpasste der Ausnahmekönner die Weltmeisterschafen 2011 und den Höhepunkt eines jeden Leistungs-Sportlers, die Olympischen Spiele 2012 in London. Zwei Jahre in Serie war Fischer beim wichtigsten Wettkampf des Jahres zum zuschauen verdammt. Eine Qual für jeden ehrgeizigen Spitzensportler. Sechs Mal die Woche, sechs Stunden täglich. All das Training, die ganze akribische Vorbereitung über Monate hinweg, völlig wertlos.

„Da brach eine Welt zusammen, weil ich wieder ein Ziel, das ich mir gesteckt habe, nicht erreicht habe. Dann habe ich eine lange Auszeit genommen, musste mich wieder finden.“, sagte Fischer vor kurzem im WDR rückblickend auf die Zeit während der olympischen Wettkämpfe in London im Sommer 2012. Er habe damals oft ans Aufhören gedacht, gibt der Schweizer zu. Eine mehr als nachvollziehbare Aussage. Eine andere Leidenschaft, bringt ihn aber zurück zum Turnen. Es ist die Musik. Wenn Lucas Fischer nicht turnen kann, dann singt er. 2012 hat er seinen ersten Auftritt, wird seitdem häufiger für Feste gebucht. Eine Option, die ihm ein Leben nach dem Leistungssport eröffnen könnte. „ Das gibt es auch noch nicht, einen singenden Turner. Da kann man schon etwas Showmäßiges aufbauen.“

Pläne für eine Karriere nach der Karriere, die dem Schweizer genug Kraft gaben, um erneut einen Angriff auf die Weltspitze zu starten. Erneutes monatelanges Training im Schweizer Turnzentrum in Macklingen also, für einen genauen Formaufbau in Richtung EM und WM 2013. Fischer qualifiziert sich nicht nur für die Europameisterschaften diesen April in Moskau, er turnt sich bis ins Finale am Barren. Dort angelangt; holt sich der Kämpfer sensationell die Silber-Medaille. Sein bisher größter Erfolg. Die erste Medaille für die Schweiz seit sieben Jahren. „Diese Medaille bedeutet mir so viel, weil ich so hart dafür kämpfen musste. Sie steht symbolisch für mein immer wieder Aufstehen.“

So wollte Fischer als Medaillen-Kandidat zu den Weltmeisterschaften im Oktober in Antwerpen. Ein erneuter Anfall im Spätsommer, beendete aber jäh den Traum. Er verpasste erneut ein Großereignis. Er kämpft mit einer sehr komplexen Krankheit. Die Ärzte können ihm nicht genau sagen, warum er den ersten Anfall seit knapp zwei Jahren erlitten hat. Zu wenig Schlaf, zu viel Stress sind mögliche Prozessbeschleuniger. „Ich hatte eigentlich nicht das Gefühl, das ich diese Symptome hatte. Mir ging es wirklich gut.“, sagt Fischer ratlos.

Menschen mit Epilepsie sind im Vergleich zu Menschen ohne, sportlich weniger aktiv. Lucas Fischers Ziel heißt aber trotz des erneuten Rückschlags Olympia 2016 in Rio de Janeiro. Aufgrund der Krankheit, darf Fischer kein Auto fahren und kein Alkohol trinken. „ Meine Blutwerte und meine Gehirnströme werden immer wieder kontrolliert. Wir schauen einfach, dass wir das mit den Krankheiten im Griff haben und das es nicht wieder kommt“, sagte Fischer gegenüber „sport inside“

Erfolgreiche Sportler zeichnen sich meistens durch einen enormen Ehrgeiz und Willen aus, der sie eben auch mit Rückschlägen sportlicher und gesundheitlicher Natur zu Recht kommen lässt. Lucas Fischer ist ein Parade-Beispiel dafür. Ein Vorbild für jeden ambitionierten Sportler. Nach seiner verpassten WM und der erneuten Zwangspause hat er sich einem Eingriff am Knie unterzogen und baut jetzt langsam wieder seine Form auf. Es ist ihm mehr als zu wünschen, dass er seine Extra-Klasse bei den nächsten Großereignissen zeigen kann und sich so die Regel „ Erfolg ist planbar“ endlich auch bei ihm auszahlt.