Heute ist ein ganz besonderer Tag. Zumindest für die Sorte von Mensch, die es entweder mit schwarz-gelb oder blau-weiß hält. Die Sorte von Mensch, die so erzogen worden ist, dass sie kein einziges gutes Wort über den anderen Verein verlieren kann. Die Sorte von Mensch, die in ganz Deutschland zerstreut ist, dessen Herzschlag am deutlichsten aber im Westen der Republik zu hören ist. Die Sorte von Mensch, die um 15:30 Uhr gebannt auf den Rasen der Veltins-Arena auf Schalke blickt, wenn Schiedsrichter Knut Kircher die Partie Schalke 04 gegen Borussia Dortmund freigeben wird.

Zwar hat der 1. Fußball Club Nürnberg öfter gegen die Spielvereinigung Greuther Fürth gespielt, um genau zu sein ganze 256 Mal. Da die Mehrzahl dieser brisanten Derbys, um die Vorherrschaft im Frankenland aber noch in der Vorkriegszeit ausgetragen wurde und sich die Spielvereinigung auch nie in der Bundesliga ab 1963 etablieren konnte, ist es nicht verwegen, Schalke 04 gegen Borussia Dortmund als das bekannteste und attraktivste Derby Deutschlands zu titulieren.

Wenn sie eine gewisse Fußball-Affinität besitzen, dann wissen sie vermutlich von der Brisanz des Ruhrpott-Derbys. Es gibt nicht wenige, die bei der Begegnung beider Fanlager von „Hass“ sprechen. Was sie mit den Leuten gemein haben, die sich kaum bis gar nicht mit der schönsten Nebensache der Welt beschäftigen? Sie haben, Vorkenntnisse hin oder her, alle nicht die leiseste Ahnung, was diese Begegnung für die Menschen in den beiden Arbeiterstädten Gelsenkirchen und Dortmund wirklich bedeutet.

Fast wirkt es so, als ginge das den Verantwortlichen beider Vereine momentan genauso. Da stellt sich einer der Macher von Borussia Dortmund, der Geschäftsführer Sport, Joachim Watzke, diese Woche nach dem Champions-League-Sieg bei Arsenal London hin und sagt: „Das ist ein Spiel wie jedes andere, mit etwas mehr Lokalkolorit. Vor vier, fünf Jahren haben wir uns noch mehr über das Derby definiert, als wir noch nicht die ganzen internationalen Aufgaben hatten.“ Nur etwas mehr Lokalkolorit also laut Watzke, der nachlegt. „Letztes Jahr waren wir im Champions-League-Finale und haben beide Derbys verloren, wenn das der Preis dafür ist, dann würden wir das zur Not wieder so machen.“
Sein Pendant, der Schalker Vorstands-Boss Horst Heldt, hat sich indes zu überhaupt keiner Aussage in Richtung Derby hinreißen lassen.

Auf den Pressekonferenzen vor dem Spiel, verzichteten auch die Cheftrainer Jürgen Klopp und Jens Keller auf giftige Kampfansagen:
„ Es waren die beiden Schatten, die auf der guten letzten Saison lagen“, pocht Klopp zumindest ein bisschen auf Derby-Rehabilitation, während Keller von einigen jungen Spielern schwärmte, „ die bereits oft in der Jugend gegen Dortmund gespielt haben und deshalb Derbyerfahren sind.“
Angst vor dem guten Lauf der Dortmunder habe er derweil nicht: „Den hatten sie letzte Saison auch und dann haben wir sie zwei Mal geschlagen.“, so Keller

Es scheint als gehe es in beiden Vereinen viel ruhiger zu, da das Revier-Derby auf ein Champions-League-Spiel folgt. Es war nicht auf Wochen hinaus das beherrschende Thema. Dortmund gewann etwas glücklich, deswegen aber nicht minder beeindruckend bei Arsenal London. Schalke verlor mit 0:3 gegen das Star-Ensemble des FC Chelsea, hatte aber mehr Spielanteile, als das Ergebnis vermuten lässt. Soweit so gut. Jetzt aber mal zum mitschreiben für die Fußball-affinen, die uninteressierten und die Verantwortlichen beider Clubs: HALLO GEHT’S NOCH???

Für die Menschen rund um Dortmund und Gelsenkirchen ist das Derby omnipräsent. Herr Watzke, fragen sie bitte mal zehn Dortmunder, ob ihre Borussia noch mal um die Champions-League Krone spielen soll, oder doch lieber die Matches gegen Schalke dominieren sollte. Für die Menschen dort, ist dieses Spiel nicht nur die Begegnung des Jahres. Es ist Bestandteil ihres Alltages. Fans, die aus Dortmund stammen, würden sich mit ziemlicher Sicherheit für den Sieg über Schalke entscheiden

Ich war vor drei Wochen im Signal-Iduna Park, besser bekannt als Westfalen-Stadion zu Dortmund, um mir das Champions-League-Spiel gegen Olympique Marseille anzuschauen. Bei aller Freude über diesen internationalen Auftritt. Beherrschendes Thema rund um die Stammtische der Arena: Das anstehenden Derby in drei(!) Wochen bei den Blauen. Tenor: „Was nützt uns der Sieg heute, wenn wir wieder gegen die Blauen verlieren?“

Diese Woche war ich dann auf Schalke. Angst vor einer Demontage, durch den besser besetzten FC Chelsea? Schließlich hat Schalke momentan erhebliche Verletzungsprobleme. Fehlanzeige! Die Realität sah so aus. Neben mir brodelte es bereits vor dem Spiel aus mehreren Fans heraus: „ Was stellt der Keller den Boateng heute auf, der hat doch erst einmal trainiert seit seiner Verletzung. Wenn der sich heute verletzt, dann fehlt der auch noch gegen Lüdenscheid am Samstag. Das Wort „Dortmund“ existiert auf Schalke im Übrigen nicht.

Meine beiden Besuche in diesen beeindruckenden Spielstätten warteten mit vielen ähnlichen Situationen auf, die mir die Wichtigkeit des Duells Schalke 04 gegen Borussia Dortmund ansatzweise verdeutlichten
Was hängen bleibt, ist die unbändige Begeisterungsfähigkeit der Menschen im Ruhrpott und wie viele sich mit dem „Feind“ den Arbeitsplatz teilen. Im Pott regiert der Fußball nicht nur das Leben. Er diktiert die Woche. Das Derby entscheidet über den Ausgang einer ganzen Arbeitswoche, vielleicht sogar eines ganzen Halbjahres. Hohn und Spott über sich ergehen lassen, oder siegestrunken eine ganze Weile austeilen können.

Weit darüber hinaus sind die beiden Fußball-Vereine viel mehr, als nur Mutmacher in einer strukturschwachen Region. Wenn nächstes Jahr das Opel-Werk in Bochum mit mehreren tausend Mitarbeitern schließt, dann trifft das auch viele treue Anhänger der beiden Traditions-Vereine, um mal stellvertretend nur ein Problemfeld zu nennen.
Fußball gibt Halt und Kraft, dies ist nicht nur, aber vor allem im Ruhrpott so. Das geht am besten durch Siege. Siege, wenn es nach den Dortmundern und Gelsenkirchenern geht, am besten jede Woche. Am liebsten jedoch gegen den Erzrivalen.

Ich habe das jetzt ansatzweise verstanden. Ob das Bewusstsein der Verantwortlichen beider Vereine, bei all den anderen Baustellen, dafür momentan vorhanden ist, lässt sich zumindest anzweifeln. Ich fürchte, die Antwort liegt wie so häufig auf dem Platz. Dafür zahle ich aber keine 3-Euro ins berüchtigte Phrasen-Schwein.
Stattdessen setze ich die 3-Euro auf ein rassiges Spiel und einen 2:1-Auswärtssieg der Dortmunder Borussia. Kevin Großkreutz könnte den entscheidenden Impuls dafür setzen. Die Sorte von Mensch, die es mit den schwarz-gelben hält, weiß, wieso das so sein könnte. Die blau-weißen wahrscheinlich auch. Nur hoffen die berechtigterweise auf einen anderen Ausgang.