Die folgende Geschichte handelt von einem echten Zocker. Er möchte Bernd genannt werden. Mit Sportwetten hat Bernd in den vergangenen Jahren eine Menge Kohle verdient – aber auch viel verloren. Ob er „im Plus ist“, möchte er sport24-fieber nicht verraten. Dafür gibt er tiefe Einblicke in die Szene und das Geschäft mit Sportwetten und erklärt, warum ihm die neuerlichen Manipulationsvorwürfe bei Fußball-Testspielen  und im Tennis ganz und gar nicht überraschen.

Ich kenne Bernd noch aus meiner Studienzeit in Wiesbaden. Er ist ein Sportverrückter. Kaum eine Sportart ist vor seiner Begeisterung und seinem Fachwissen sicher. Es macht Spaß mit ihm zu diskutieren – außerhalb von Wettbüros. Bernd verbringt viel Zeit in den vielen kleinen Läden der hessischen Landeshauptstadt – für meinen Geschmack etwas zu viel. Jedes Mal wenn ich mit meiner ehemaligen Wohngemeinschaft einen „guten“ Tipp abgeben wollte, war Bernd schon da und in das Wettprogramm vertieft. „Oh ja, ich habe schon so einige komische Livewetten erlebt“, erzählt er, als ich ihn kürzlich wegen meiner geplanten Geschichte kontaktiert habe. Konkret ging es mir um seine Meinung zum unter Manipulationsverdacht stehenden Fußball-Testspiel zwischen Drittligist Wehen-Wiesbaden und der 2. Mannschaft von Borussia Mönchengladbach (3:1). Seine Antwort überraschte mich daher nicht: „Junge, ich war im Laden während des Spiels. Für mich war das eigentlich ein klassisches ‚Untertorspiel‘“, sprudelt es sofort aus ihm heraus. Er sei sich also sicher gewesen, dass in dem Spiel weniger als drei Tore erzielt werden, zu schlecht sei die Wiesbadener Offensive. „Und dann gibt’s da plötzlich zwei Elfmeter kurz hintereinander“, sagt er kopfschüttelnd. Das gesetzte Geld war pfutsch, Bewegtbilder des Spiels gab es ebenso wenig. Testspiele in Trainingslagern oder Ligaspiele in weniger bekannten Ligen rund um den Globus  werden selten übertragen. So bleibt nur der Blick auf die Livewetten-Bildschirme, auf denen Ergebnis, Spielzeit und Quotenverläufe festgehalten werden. Bernd habe sich direkt im Anschluss gedacht, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. „Sind wir mal ehrlich: So kleine, unwichtige Testspiele, gerade in der spielfreien Zeit, werden häufig verschoben“, behauptet er. Kaum Aufmerksamkeit, wenig bekannte Schiedsrichter, dafür jede Menge Wettangebote. „Diese Spiele sind prädestiniert für Manipulationen der Wettmafia“, erklärt Bernd. Dabei seien in den wenigsten Fällen Fußballer beteiligt. „In dem Fall war der Schiedsrichter geschmiert, nur die Wettpaten in Asien haben unvorsichtig agiert“, erklärt er seine These.

Agentur Sportsradar überwacht platzierte Wetten

Fakt ist: Tatsächlich wurde der Drittligist aus Wiesbaden von der Sportsradar AG, die im Auftrag des DFB und der DFL Spiele auf sportwettenbezogene Manipulationen überwacht, auf Unregelmäßigkeiten bei der Partie im Trainingslager im türkischen Side aufmerksam gemacht. Den Borussen wurde dies auf Nachfrage bestätigt. .„Die Wetten sollen in Asien platziert worden sein“, erklärte  damals Anfang Januar Borussia-Sprecher Markus Aretz dem  Sportinformationsdienst (SID): „Dabei soll auf eine bestimmte Anzahl von Toren gewettet worden sein.“

„Also hatte ich nur Pech“, sagt Bernd zynisch und lacht. Hätte er auf Übertor gewettet, wäre er ein Profiteur der Manipulation gewesen. „Schade, dass ich keine Kontakte nach Asien habe“, sagt er augenzwinkernd. Man könne das Ganze nur mit Humor nehmen. Bernd ist sich sicher: „Jeder, der regelmäßig wettet, hat schon mal unwissentlich auf ein manipuliertes Spiel gesetzt.“ Gefährdet seien dabei kaum Liga- oder Pokalspiele in den großen Ligen („abgesehen von der türkischen und der russischen Liga, aber das würde jetzt zu weit führen“). Es gehe um die kleinen Spiele und um die vielen verschiedenen Wetten, die man platzieren kann. „In Asien und auf dem Balkan gibt es große Clans, die damit so viel Geld machen, das kannst Du Dir gar nicht vorstellen“, sagt Bernd, der die Arbeit von Sportsradar zwar grundsätzlich gut findet. „Aber diese Kriminellen sind ihnen oft ein bis zwei Schritte voraus“, ist er sich sicher.
Manipulationen in Deutschland gab es in den vergangenen Zwölf Jahren ebenfalls genug. Verurteilt wurden auch einige. Sie sind der Grund, warum Warnsysteme und Präventionsprojekte installiert wurden. Manipulationsfrei scheint der hiesige Markt aber auch jetzt längst noch nicht zu sein, wie diese sehenswerte Kurzreportage des WDR zeigt:

„Wettmarkt ist Milliardengeschäft“

Der Wettmarkt ist schlichtweg ein Milliardengeschäft worden. Den großen Reibach machen die kriminellen Wettpaten und die Wettanbieter selbst. Deren Umsatz mit Sportwetten stieg im vergangenen Jahr um fast 20 Prozent an, auf rund 4,5 Milliarden Euro. Ein Haufen Geld, von dem auch die Profifußballclubs in Deutschland profitieren wollen. Bei 15 von 18 Fußball-Erstligisten engagieren sich mittlerweile Wettanbieter als Sponsoring-Partner. Ein Geschäft, von dem beide Seiten etwas haben: Die Wettanbieter polieren durch die Präsenz im Profi-Fußball ihr schlechtes Image auf, die Vereine kassieren. Doch wie passt das mit dem Bild der Funktionäre und Clubs zusammen, die sich sonst gerne öffentlich an der Enttabuisierung von Fremdenhass, Homophobie oder Depressionen beteiligen, frage ich Bernd. „Jetzt hol mal nicht die Moralkeule raus. Da ist einfach zu viel Geld im Spiel“, antwortet er. Klingt sehr simpel, aber auch sehr richtig. Bernd hat sich vorgenommen, in Zukunft nur noch vor Anpfiff auf größere Partien zu setzen. Da sei die Gefahr, veräppelt zu werden, sehr gering. „Aber diese Livewetten geben mir einfach einen Kick“, gibt er zu. Wenn er enthusiastisch werde, sei ihm manchmal auch egal, wer da spielt. „Dann setze ich einfach darauf, wer das nächste Tor schießt und fiebere am Livebildschirm mit“, gibt er zu.

Im Internet wettet Bernd, trotz des riesigen Angebots eher selten. „Ich mag es in den Büros mit anderen zu diskutieren, mitzufiebern und zu leiden“, sagt er. Ein Vorteil bei den Anbietern im Internet sei aber die größere Vielfalt an Sportarten. Jetzt während den Australian Open platziere er ab und an auch mal eine Tenniswette. Von den Vorwürfen, die der englische Sender BBC zu Turnierbeginn veröffentlichte, nachdem 15 der 50 besten Spieler bei den Herren in der Vergangenheit manipuliert hätten, hält Bernd wenig. „Das Problem sind nicht die Top 50 der Welt. Die verdienen so viel Geld“. Gefährdet seien vielmehr Spieler in den Tiefen der Weltrangliste. Die zweitklassigen Turniere unterhalb der ATP-Serie, „Challenger“ genannt, seien schon schwer zu kontrollieren. „Und dann kannst du trotzdem noch Livewetten platzieren bei drittklassigen ‚Futureturnieren‘, wo nicht mal ich die Namen der Spieler kenne“, sagt der Insider kopfschüttelnd. „Da können Spieler mit einem gekauften Spiel mehr Geld verdienen als mit drei Turniersiegen am Stück“, rechnet er vor. Das Livewettenangebot im Tennis ist um einiges vielschichtiger als in anderen Sportarten.

Tenniswette

„Wer gewinnt das nächste Spiel? Wer den nächsten Satz? Wem unterläuft der erste Doppelfehler? Ich wüsste nicht, wie man das gänzlich kontrollieren kann“, berichtet Bernd. Der CEO des Portals „Interwetten“ , Werner Becher, hat sich kürzlich ausführlich in einem Interview gegenüber tennis.net.com geäußert: „In der Auswertung des dritten Quartals 2015 gab es allein 48 Zwischenfälle mit Tennisspielern, das waren 66 Prozent aller verdächtigen Vorkommnisse im Sport überhaupt. Tennis hat dem Fußball den zweifelhaften Platz eins hier abgelaufen. Wir haben im Moment eine Schwarze Liste mit mehr als 50 Tennisspielern, deren Matches wir gar nicht mehr anbieten. Einfach, weil uns das Risiko viel zu hoch erscheint“, sagt Becher. Auch er betonte, dass es dabei primär um Spieler aus der zweiten Reihe handele. (Hier geht es zum lesenswerten Interview)

Davydenko und Kollerer in den Schlagzeilen

Ein bekannter Spieler, der immer wieder mit Manipulationen konfrontiert wurde, ist der ehemalige Weltranglistenvierte Nikolai Davydenko. Dabei bleibt ein Match mit fadem Beigeschmack in Erinnerung. Verurteilt wurde der mittlerweile zurückgetretende Russe jedoch nie.

Ein anderer prominenter Name, der in der Öffentlichkeit jedoch vor allem mit Ausrastern und eben Wettmanipulationen besetzt ist, ist der von Daniel Köllerer. Der Ex-Weltranglisten-55. aus Österreich war von der ATP vor fünf Jahren wegen Wettmanipulationen gesperrt worden – ohne Beweise, wie er behauptet. Köllerer glaubt, dass er nur als Bauernopfer herhalten musste, wie er in einem Gespräch mit „blick.ch“ (Hier geht es zum gesamten Interview) offenbarte. „Ich bin einfach das Arschloch der Nation. Ich wurde geopfert, um anderen Spielern zu zeigen, was passieren kann. Ich war der ATP ein Dorn im Auge.“ Er selbst sei drei Mal zur Wettmanipulation angehalten worden. „Bei einem Spiel gegen Davydenko bot man mir 50.000 Dollar, das Gleiche bei einem Spiel gegen Tipsarevic. Einmal wurden mir für eine Niederlage gegen Massu sogar 100.000 Dollar geboten.“ Er habe jedoch sofort abgelehnt. „Ich habe schon genug Blödsinn gemacht auf dem Tennisplatz“, so Köllerer. „Aber mit schwerem Betrug wollte ich nichts zu tun haben.“

Als ich Bernd das Interview zeige, muss er schmunzeln. Er ist sich  sicher, dass das Problem im digitalen Zeitalter nicht gänzlich in den Griff zu bekommen ist. „Da müssten alle aufhören zu tippen, aber mir macht das zu viel Spaß“, sagt er. Er müsse jetzt auch auflegen. An diesem Abend standen nämlich Partien des englischen League Cup auf seinem Wettprogramm. „Die sind vermutlich noch sauber“, sagt er und lacht.