Als Dimitrij Ovtcharov sich am Sonntag zum zweiten Mal in Folge Europas Tischtenniskrone aufsetzte, war mal wieder keine TV-Kamera live auf Sendung – Trauriger Alltag für eingefleischte Tischtennis-Fans. Doch die öffentlich-rechtlichen  und auch Sender wie Eurosport haben ihre Berichterstattung im Vergleich zur letzten EM etwas verbessert. Am Ende fragen sich die Sender aber immer:Wie viele schauen zu? Lohnt sich der Aufwand? Gastautor Torsten Mähner mit einer Einschätzung:

Wir schreiben Dienstag vor einer Woche, 18:15 Uhr: Es läuft ein „Splitscreen“ auf Eurosport. Auf der linken Bildhälfte beginnt Satz drei des entscheidenden Matches im Teamendspiel der Tischtennis-Europameisterschaft. Auf der rechten Seite des TV erzielt der Spieler Tuineau im Gruppenspiel zwischen Tonga und Namibia bei der Rugby-WM das 19:7 für sein Team von der südpazifischen Insel. Zu hören ist in diesem Moment nur der euphorische Kommentator aus dem Sandy Park zu Exeter im Südwesten Englands, der beim erfolgreichen Versuch der Tongaer mitfiebert.
Dann kommt das Zeichen aus Paris, der Stadt der Liebe (zum Tischtennis?) und des Hauptsitzes von Eurosport, aus zwei Bildern wieder eines werden zu lassen und samt Kommentar zum Spiel Patrick Baum gegen Stefan Fegerl zu schalten: Der Österreicher führt bereits mit 2:0-Sätzen gegen den dreifachen Mannschaftseuropameister Patrick Baum und ist auf dem besten Weg sein Heimatland beim Gesamtstand von 2:2 gegen den Favoriten aus Deutschland zum ersten Europameister-Titel im Tischtennis zu führen. Er macht kurzen Prozess und lässt – wenn auch sehr kleine –Teile der Alpenrepublik in Jubel ausbrechen.
Doch nicht nur in Österreich wird gejubelt, auch in Paris sind die Verantwortlichen des Sportsenders heilfroh, dass dieses Tischtennisspiel endlich vorbei ist. Es hat die vorgesehene Sendezeit – mal wieder – deutlich überstiegen. Eine rasche Verabschiedung des Kommentators Réne Adler und schon geht es, während der Feierlichkeiten von Gardos, Habesohn, Fegerl & Co., raus. Und zwar zur rechten Hälfte des ehemaligen Splitscreens: endlich Rugby, endlich Action, endlich Emotionen, endlich Tonga gegen Namibia.

Eurosport zeigt lieber MotorGP und Rugby-WM

Knapp sieben Stunden hat Eurosport die am Sonntag mit der Titelverteidigung von Dimitrij Ovtcharov im Herren-Einzel zu Ende gegangene Tischtennis-EM im russischen Jekaterinenburg live im Free-TV übertragen, weitere sieben Stunden gab es auf dem nicht für jeden frei empfangbaren Eurosport 2. Dazu gehörten die Team-Finals der Damen und Herren sowie wichtige Spiele der Einzel-Endrunde. Die Finals blieben jedoch erneut außen vor. Sonntagnachmittags ist es für Eurosport lukrativer, Moto-GP oder eben Rugby zu zeigen.
Daran haben sich Tischtenniskenner- und Fans längst gewöhnt. Genau wie an die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender. Die hat sich im Vergleich zur Europameisterschaft 2013 im österreichischen Schwechat kaum verändert. Ovtcharov, der seinen zweiten EM-Sieg in Folge ergatterte, sorgte zumindest zum Abschluss der Titelkämpfe am Sonntag für eine anständige Medienpräsenz in ARD und ZDF.
Ein fünfminütiger Beitrag über das Finale gegen den Portugiesen Marcos Freitas war in der Sportschau um 18 Uhr zu sehen, ebenso ein kurzer Einspieler in der 20-Uhr Tagesschau zur Prime-Time. Das ZDF begann die Sportreportage sogar mit dem Halbfinale „Dimas“ gegen Thiago Apolonia und beendete die Sendung mit wenigen Minuten alten Bildern von Ovtcharov’s erneuter Besteigung des europäischen Tischtennis-Throns. Diese zeitnahe Berichterstattung hat positiv überrascht.
Die Ausschnitte zeigten einen entfesselt aufspielenden Deutschen. Da blieb einem auch als erfahrener Tischtennisspieler ab und zu der Mund offenstehen, welch spektakuläre Rallyes sich die beiden Finalisten immer wieder lieferten. Meistens hatte „Dima“ das bessere Ende für sich, der in einem hochklassigen Finale nochmal in einer anderen Liga spielte als sein portugiesischer Kontrahent. So war es für die Mitarbeiter der Rundfunkanstalten ein leichtes Unterfangen, die bis zu fünf Minuten langen Beiträge mit mehr als sehenswerten Ballwechseln zu füllen. Dieses Finale war ohne Zweifel Werbung für den Tischtennissport.

Falsche Kommentatorenwahl

Das Eingangsbeispiel mit der Bildschirmteilung zeigt, dass die Qualität der Übertragungen noch viel Luft nach oben bietet. Eine Unterbrechung des Finals einer TT- Europameisterschaft mit deutscher Beteiligung im entscheidenden fünften Spiel ist in keinem Fall damit zu rechtfertigen, dass in England beim Gruppenspiel der Rugby-WM Tonga seine Führung gegen Namibia von 12:7 auf 19:7 ausbaut.
Es ist zwar nur ein kleines Detail, zeigt jedoch in erschreckender Weise den Stellenwert des Tischtennissports in der Medienlandschaft. Wenn sich ein Sender dazu entscheidet, das Team-Finale live ins Programm aufzunehmen, sollte die Übertragung ohne Nebengeräusche bis zum Ende durchgezogen werden. Gerade in der entscheidenden und spannendsten Phase des Matches geht ansonsten auch beim Zuschauer der „Tunnelblick“ verloren. Die Folge war am Dienstag: Das Finale erweckte mitunter den Eindruck, als störe es die reibungslose Übertragung eines Rugby-Spiels, das jetzt laut Sendeplan dran wäre. Die Bedeutung des Gold-Matches bei der EM ging völlig verloren. Ein fatales Zeichen für den Tischtennissport.
Ein fatales Zeichen an die Tischtennisgemeinde war auch die Wahl des Kommentators für die zeitversetzte Eurosport-Übertragung des Einzel-Endspiels am Sonntagabend. Nicht die Stimme Réne Adlers – Deutschlands etabliertester Tischtennis-Kommentator – war zu hören, sondern die eines lustlosen, laut atmenden, älteren Mannes, der, vorsichtig ausgedrückt, wenig vom Sport mit dem kleinen Plastikball verstand.
Er machte den Eindruck, als wäre selbst die Einführung des Plastikballes an ihm vorübergegangen. Egal wo Herr Adler sich an diesem Abend versteckte, ob bei 40-Grad Fieber im Hotelzimmer oder beim HSV-Torwarttraining; eine Rückholaktion war dringend notwendig. Sein Ersatzmann J. Drobny (Name von der Redaktion geändert) brachte weder ein Wort über technische noch über taktische Facetten der Partie über die Lippen. Sein Spezialgebiet lag vielmehr darin, den aktuellen Spielstand und, mathematisch korrekt (Hut ab!), die Anzahl der Satz- und Matchbälle zu verlesen. Seinen analytischen Höhepunkt erreichte er, als er nach einem Wahnsinns-Ballwechsel mit unzähligen Topspin-Rallyes von „asiatischem, nein sogar chinesischem Niveau“ sprach.
Natürlich muss und darf sich ein Kommentator nicht in den Tiefen der Tischtennis-Analyse verlieren. Aber er sollte den Zuschauern einen guten Einblick geben (können), was die Akteure am Tisch da gerade fabrizieren, welche Schläge sie besonders gut können, wo sie Schwachstellen haben, welche Taktiken sie verfolgen und ob diese aufgehen. Nur so kann man die Leistung der Athleten in angemessener Weise transportieren und die Faszination Tischtennis dem Zuschauer vermitteln.
Dass das „ein schöner Punkt“ war oder, dass derjenige, der beim Spielstand von 8:6 führt, noch drei Punkte zum Satzgewinn benötigt; weiß auch jeder zufällig hängengebliebene Zapper und schafft für die Vermarktung des Tischtennissports keinerlei Mehrwert.
Fazit: Wenn es am TV schon mal Live-Tischtennis zu sehen gibt, dann bitte mit kompetenten Kommentatoren. Und da trägt nicht der eingesetzte, leicht überfordert wirkende Begleiter der Partie, sondern der Sender die Hauptschuld, der keinen passenden Ersatz für Herrn Adler in der Hinterhand hat.

Die Tischtennis-EM im World Wide Web

Die Qualität muss also in mancher Hinsicht verbessert werden, mit der Quantität können und müssen wir als Tischtennis-Fans jedoch zufrieden sein.
Die Leute, die diese Tischtennis-Europameisterschaft intensiv verfolgen wollten, konnten das ohnehin tun. Der Internet-Streamingdienst laola1.tv übertrug die Matches an zwei Tischen dauerhaft live, zwei weitere Tische konnten zudem on-demand abgerufen werden. So waren zumindest alle für den Turnierausgang entscheidenden Partien im Netz in guter Qualität zu sehen. Klar wäre es wünschenswert, dass weitere Tische in das Live-Programm aufgenommen werden. Doch man kann bei den erwarteten Click-Zahlen je Stream nicht verlangen, dass Laola1.tv jedes Qualifikations- und Vorrundenmatch live zeigt. Das kann nicht wirtschaftlich sein und das müssen Tischtennis-Fan akzeptieren.
Dem Thema Kommentatoren hat sich Laola1.tv indes besser angenommen als Eurosport: Und zwar indem man sie sich einfach gespart hat. Stattdessen konnte der Zuschauer am Tablet oder PC Hallenatmosphäre genießen. Das machte richtig Spaß. Gerade dann, wenn ein Dimitrij Ovtcharov vor 2000 Zuschauern in der gut gefüllten Arena zur Höchstform auflief und jeden seiner Punkte mit einem lauten „Tschoallez“ feierte. Das sind Emotionen, die Tischtennis verdient und die Fans sehen sollen. Eine Schlaftablette als Kommentatoren-Notlösung hätte hier die aufkommende Stimmung im Keim erstickt.
Die mediale Begleitung der EM im Netz war also völlig zufriedenstellend. Gilt das auch für das Pensum, das die TV-Sender geliefert haben?
Zu 95 Prozent schauen nur die Leute, die selbst aktiv Tischtennis spielen oder gespielt haben. Für diejenigen gab es das umfangreiche Internetangebot. Jegliche Berichterstattung bei Eurosport und bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ist Zugabe. Und die fiel üppig aus: Insgesamt 14 Stunden live Tischtennis bei Eurosport und Eurosport 2; dazu Berichte in den bekanntesten Sportmagazinen des Landes in ARD und ZDF. Das ist super!

Verändert nicht das Wesen der Sportart

Als Sportbegeisterter blickt man nicht selten über den Tellerrand des Königs Fußballs hinaus. Doch würde sich jemand beispielsweise eine Badminton-EM am Fernsehen anschauen, wenn die Person nicht direkt etwas mit der Sportart verbindet? Die Antwortet lautet wohl, Nein. Badminton ist im Vergleich zum Tischtennis noch deutlich schlechter gestellt, was das mediale Interesse angeht. Obwohl auch hier geniale Ballwechsel, Modell-Athleten und Hochspannung garantiert sind.
Bei mir wäre es so: Nach ein paar Minuten würde ich die Fernbedienung schnappen, um auszuschalten, weil mir der Bezug und das Gefühl des absoluten Mitfieberns fehlt. So ergeht es dem größten Teil beim Konsum eines Tischtennis-Spiels auch. Dagegen lässt sich nicht viel ausrichten.
Wir können die Bälle auf 44 Milimeter vergrößern oder den Satz nur noch bis zum fünften Punkt spielen. Ähnliche Veränderungen in solch eine Richtung gab es in der Vergangenheit. Sie haben alle unter dem Strich nichts im Sinne einer größeren medialen Wahrnehmung des Tischtennissports gebracht.
Das Wesen der Sportart darf nicht verändert werden, deshalb sind Veränderungsmöglichkeiten beschränkt. Im Mittelpunkt sollten nicht irgendwelche Shows oder Acts stehen, sondern die Athletinnen und Athleten selbst. Kurze Stimmungshochs müssen sich in der Halle in Sekundenschnelle wieder in Konzentration und Stille umkehren, damit Ovtcharov, Freitas und Co. den Zuschauern solch ein Spektakel wie das EM-Finale bieten können.

Tischtennis ist nun mal eben kein Sport, bei dem sich Zuschauer mit ein paar Bierchen in die Halle setzen, sich dauerhaft über das Spielgeschehen unterhalten und endlich mal die Sau rauslassen können. Tischtennis ist kein Sport, der für die Allgemeinheit leicht zu verstehen ist, bei dem sofort erkannt wird, warum der Ball jetzt über den Tisch und nicht auf den selbigen geht, oder bei dem der ungeübte Beobachter überhaupt immer den Ball verfolgen kann. Tischtennis ist kein Sport, bei dem das Runde einfach in das Eckige muss. Tischtennis ist kompliziert, für den neutralen Betrachter verständlicherweise zu kompliziert. Wer das als Zuschauer nicht zu schätzen weiß, in dem er zum Beispiel selbst aktiv spielt, der wird keinen Reiz verspüren, sich weiter mit der Sportart zu beschäftigen oder sich gar von ihr begeistern zu lassen. Derjenige wird um- oder abschalten, wie ich nach kurzer Zeit beim Badminton.
Schließlich stand ich am Sonntag um 17:30 Uhr selbst vor einem Dilemma: Bayern gegen Dortmund auf Sky oder Ovtcharov gegen Freitas auf laola1.tv. Das sind undankbare Situationen für Sportfans. Ich habe mich ehrlicher Weise für das Spektakel in der Allianz-Arena entschieden, anstatt „Dimas“ Triumph live zu verfolgen. Noch nicht mal auf die neumodische Erscheinung des „Second Screens“ hat es das EM-Finale geschafft. König Fußball hatte mal wieder gewonnen, selbst bei jemandem wie mir, den der kleine Zelluloid- oder Plastikball seit Kindesbeinen prägt. Fragen Sie meinen Psychologen, warum das so ist. Ich kann es Ihnen nicht sagen. So bin ich dann am Abend bei der Wiederholung des Matches mit besagtem Kommentator auf Eurosport gelandet. Da ich aber noch nicht in den Schlaf kommentiert werden wollte, stellte sich mir eine Frage: Lief nicht noch irgendwo eine Zusammenfassung von Namibia-Tonga?