Arjen Robben war gerade 15 Sekunden auf dem Spielfeld, da nagelte er den Ball unter die Unterkante der Latte. Dass es bereits 3:0 für seine Bayern stand, war dem Flügelflitzer egal. Im Vollsprint war er in den gegnerischen Strafraum eingedrungen, erster Ballkontakt, erstes Tor. Mitleid mit dem Gegner kannte der Holländer nicht. Er wollte nur eins, sein Tor erzielen.
Auch wenn sich Mesut Özil merklich bemühte, weite Wege ging und technisch für den ein oder anderen Leckerbissen sorgte: Dieser unbedingte Wille ein Tor zu erzielen, die Gier auch den 100. Zweikampf für sich zu entscheiden und die Gabe, das Spiel der eigenen Mannschaft in großen Begegnungen über 90 Minuten anzutreiben und zu kontrollieren, egal wie der Gegner heißt: Özil gehört, aus Sicht aller Arsenal und DFB-Fans – leider – noch immer nicht zu diesem erlesenen Kreis an Profifußballern, auf die diese Beschreibung passt. Das ist, abgesehen vom Ergebnis des Champions League Spiels des FC Bayerns gegen Özils Arsenal (5:1), die Erkenntnis des gestrigen Abends.

Dabei waren die Medien gerade dabei, den 27-Jährigen in exakt diese Sphären einzuordnen. Sie alle hatten eine Entwicklung ausgemacht. Den Makel in wichtigen Spielen gegen große Gegner zu oft unterzutauchen, habe er in dieser Saison abgelegt, schrieben etwa „die Welt“ und die F.A.Z. anfangs dieser Woche. Zugegeben, die Schreiberlinge hatten einige Argumente auf der Habenseite. Der Deutsch-Türke spielt eine bisher mehr als ordentliche Premiere League Saison für die Hauptstädter. Ein Tor und ganze neun Vorlagen konnte er zum Erfolg seiner Gunners beisteuern. Und in den Spielen gegen vermeintlich „große“ Gegner, wie Manchester United – zu diesem Zeitpunkt immerhin Tabellenführer in Englands Eliteliga – erwischte Özil einen Sahnetag. Als er dann vor zwei Wochen noch den Treffer zum 2:0 Endstand im Champions League Hinspiel gegen die Bayern erzielte, stand nicht nur das heimische Emirates Stadium Kopf, auch die englischen Medien lagen ihm zu Füßen.

Und dann taucht er plötzlich mal für 20 Minuten ab

Gestern hätte es ebenfalls ähnlich für Arsenals Nummer elf laufen können. Nur eine Minute nachdem die Bayern durch eine missglückte Abseitsfalle der Londoner in Führung gegangen waren, schnappte sich Özil das Leder im Mittelfeld, trieb den Ball an die Strafraumgrenze und passte klug nach außen auf den linken Flügel. Alexis Sanchez flankte direkt und Özil stand im Fünfmeterraum als Abnehmer bereit – Tor. Der Weltmeister drehte zum Jubel ab, wurde aber jäh zurückgepfiffen. Obwohl der Arm angelehnt war, letztlich hatte er den Ball mit der Hand ins Tor bugsiert. Und dennoch: Bis zur 30. Minute sahen die 70.000 Zuschauer in der ausverkauften Allianz Arena einen selbstbewussten Mesut Özil. Einen echten Zehner, der nur einen oder zwei Ballkontakte benötigte, um blitzschnelle Angriffe einzuleiten und für kluge Seiten- und Tempowechsel sorgte. Und einen Spieler, der bei gegnerischem Ballbesitz mit in den defensiven Verbund zweier Abwehrketten einrückte, um sich der geballten Offensivkraft der Bayern entgegenzustellen.
Doch Özil ist kein Defensivkünstler und erst recht kein Arbeiter. Je länger die erste Hälfte andauerte, desto größer wurden die Lücken in der Zentrale bei Ballbesitz der Bayern. Länger und beschwerlicher wurden ebenfalls die Wege zurück in die Defensive und seltener Özils Versuche das Umschaltspiel der Gunners anzutreiben. Folgerichtig klingelte es in Halbzeit eins gleich noch zweimal im Gehäuse von Arsenals Petr Cech. Erst Thomas Müller mit einem für ihn typischen Drehschuss, dann David Alaba mit einem sehenswerten Distanzschuss nach Ballverlust Arsenals. Bei beiden Gegentoren war Özil nicht direkt beteiligt, weil noch auf der Anreise von der Offensive in die Defensive. Umso energischer waren jedoch seine Gesten in Richtung eigene Abwehrspieler. Abwinken, Kopfschütteln – Unzufriedenheit machte sich breit. Das Spiel war gelaufen. Nach einem 0:3 gegen die Bayern vermag wohl kein Spielmacher der Welt mehr für ein Comeback zu sorgen, so viel steht fest. Es gibt aber sehr wohl Akteure dieses Planeten, die es erst gar nicht so weit kommen hätten lassen.

Statistiken alleine reichen nicht aus

Klar ist, Özil ist ein technisch überaus versierter Spieler, mit einem guten Auge für seine offensiven Mitspieler. Das zeigen zum einen seine vielen Assists seit 2008. 93 Tore hat der Nationalspieler in Erstligabegegnungen vorbereitet. Es gibt lediglich einen Spieler, der mehr vorzuweisen hat. Der hat allerdings auch schon vier Weltfußballerkugeln in der heimischen Vitrine stehen. Zum anderen wären seine Passquoten von 88 Prozent (Liga) und 84 Prozent (Champions League) in dieser Saison zu Rate zu ziehen. Von der Wertigkeit und dem Nutzen für sein Team sind diese sogar noch deutlich höher anzusiedeln, wenn man die Qualität der Zuspiele betrachtet. Die sind oftmals riskant, vertikal sowie mit einem Kontakt auf engstem Raum weitergeleitet. Das hat auch gestern gegen die Bayern gut funktioniert.

Am Ende des Tages reicht dennoch diese eine Begegnung am gestrigen Abend aus, um zu deuten, dass Mesut Özil das Prädikat Weltklasse nicht verdient. „Internationale Klasse“ wie das Fachmagazin Kicker oft überdurchschnittliche Spieler bewertet, denen das gewisse etwas zur allerhöchsten Güteklasse fehlt – die hat Özil bestimmt. Dazu langt alleine seine grandiose Technik und sein überragendes Auge für den Mitspieler. Für ganz oben – also die Qualität, sein Team in der Premier League oder im Europapokal nach oben zu führen, dafür fehlt ihm die Mentalität! Dafür taucht er zu oft ab. Dafür fehlt ihm die die richtige Mischung zwischen Abwehr und Angriff. Aber am wichtigsten: Dafür fehlt ihm die Körpersprache. Zu schnell geht der Kopf nach unten, zu schnell sacken die Schultern zusammen. Bezeichnend war gestern die Aktion in der 89. Minute. Özil rechnete am gegnerischen Sechzehner nicht mehr mit einem Zuspiel seines Mitspielers, brach den Laufweg ab und trabte aus. Als der Ball dann doch noch durchrutschte, fehlte ihm die Körperspannung. Bayern schnappte sich die Kugel – wenige Sekunden später zappelte der Ball im eigenen Netz. Müller hatte einen blitzsauberen Konter zum 5:1 Endstand vollendet.

So agiert niemand, der voran geht, an dem sich Mitspieler aufrichten können, wenn es mal nicht so läuft. Auch nicht bei 1:4 in der letzten Minute. Das ist letztlich eine Frage der Mentalität, die wohl dafür sorgen wird, dass Mesut Özil niemals in die Reihe der Weltklasse-Fußballer aufsteigen wird.