Das U21 EM-Qualifikationsspiel Deutschland gegen Montenegro in der Wiesbadener Brita-Arena war schon fast vorbei, da wurde es für mich erst interessant. „ Die spielen einen richtigen Käse zusammen, ein Grottenkick ist das!“, raunte es von rechts. 1:0 stand es für die DFB-Fohlen, massig Großchancen wurden vergeigt und die Montenegriner konnten immer wieder kleine Nadelstiche in der Offensive setzen.
Ich möchte, bevor ich fortfahre, kurz noch zugeben, dass ich mittlerweile gerne auf Haupttribünen sitze. (Man wird ja doch nicht jünger, und Taktik und Spielverlauf sind deutlicher erkennbar)

Außerdem würde ich sonst Kommentare, wie die des rüstigen Rentners verpassen, der mir eben jenen Ausspruch von rechts entgegengebracht hatte. Jetzt wartete er gespannt auf jemanden, der mit ihm den Abgesang des deutschen Nachwuchsfußball feiern würde. Derjenige sollte ich sein: „Ach wissen sie, vor 10-15 Jahren hätten wir viel für so ein Spiel, und noch viel mehr für solch eine U21 getan“, entgegnete ich. Seine Augen weiteten sich auf einmal extrem, sein Blick wurde starr, er wurde richtig wackelig auf den Beinen, packte daraufhin auch meinen Arm. Dann merkte ich plötzlich, dass wir nicht mehr in Wiesbaden, nicht mehr in der kleinen Brita-Arena waren.
Der Rentner stand immer noch neben mir und ein Fußballplatz war immer noch Schauplatz unseres Treffens. „ Ich weiß wo wir sind“, sagt der alte Mann, der seine Fassung scheinbar wieder gefunden hatte. „Athen, im Jahr 2001, ich glaube März, U21 EM-Qualifikation, Griechenland gegen Deutschland“, flüstert er mehr, als dass er spricht. „Sicher, dass es März ist? Es ist voll warm hier!?“, frage ich ihn augenzwinkernd. „Mehr hast du nicht zu sagen? Vielleicht sowas wie; WIE zur Hölle sind wir hierher geraten?!“, blufft er mich an.

Im gleichen Moment erzielen die Hausherren einen Treffer. Die Anzeigetafel zeigt das 2:0 für Griechenland in der 88.Spielminute an. Torschütze, Ioannis Amanatidis. „Ist doch erst mal egal, warum wir hier sind! Lass uns lieber schauen, wer da alles so auf dem Platz steht“, antworte ich.
„Pah, dieser Amanatidis, den konnte ich eh noch nie leiden, hat immer gemacht was er wollte, als er von Stuttgart zur Frankfurter Eintracht gewechselt ist“, sagt der Mann. „Damals hat der Deutsch-Grieche aber noch für Greuther Fürth gestürmt“, erzähle ich. „Lass uns mal lieber die DFB-Elf betrachten, das könnte lustiger werden.“
„ Was soll daran schon lustig sein? Timo Hildebrandt im Tor, war damals bei Stuttgart schon Stammkraft, keine Überraschung also“, blickt er mich gelangweilt an. „Ja das stimmt, auf der Torhüter-Position hatten wir nie Probleme“, stimme ich zu.
„Ja und weiter, schau mal, da verteidigt Christoph Metzelder und im Mittelfeld sind Sebastian Kehl und Fabian Ernst aktiv, die wurden alle drei langfristig A-Nationalspieler. Metzelder war später sogar Stammspieler bei der WM in Südkorea und Japan 2002“, sagt er mir und bevor er fortfährt unterbreche ich ihn. „Und er war damit fast der einzige junge Spieler im kompletten Kader.“

Als ich wieder aufs Spielfeld schaue, sehe ich Metzelders Pendant und muss lange überlegen, bis ich ihn erkenne. Es ist der junge Manuel Benthin, damals in Diensten des Zweitligisten Union Berlin und einer der deutschen Hoffnungsträger für die Zukunft.
Heute weiß ich: Es blieb bei 17 Einsätzen in der 2. Bundesliga, den Rest seiner Karriere verbrachte er in der Regional und Oberliga.
Das erkläre ich meinem Sitznachbar dann auch in Ruhe. Es folgten Storys zu den anderen Spielern. Ein Paul Freier etwa, der beim VFL Bochum zum Nationalspieler wurde, bei Leverkusen die Erwartungen nicht erfüllen konnte und heute als Mittdreißiger wieder in Bochum in Liga 2 kickt. Dasselbe Schicksal ereilte im Übrigen auch damaligen Größen, wie Christian Rahn und Daniel Bierofka, bei letzteren auch aufgrund vieler Verletzungen.

Je weiter ich in die Offensive blickte, desto schwindelerregender wurden die Namen der Spieler, die ich auf dem Athener Rasen wahr nahm. Sebastian Schiendzielorz, Sven Müller und Christian Timm. Als der alte Mann genau diese drei Spieler „wirbeln“ sah, wurde er wieder ganz blass, schnell verwickelte ich ihn in ein Gespräch. „Nicht verwunderlich, dass bei diesen Offensivkräften hier kein Tor für Deutschland gefallen ist“, sage ich.“ Der Mann nickt. „ Nichts gegen die drei, aber das waren unterdurchschnittliche Bundesliga und Zweitliga-Profis, nicht mehr und nicht weniger.“ Amen…

Eingewechselt wurde in diesem Spiel noch ein gewisser Mahmut Yilmaz. Ich kannte und kenne ihn nicht, mein Reisebegleiter auch nicht. Man muss schon außergewöhnliche Kenntnisse besitzen, um zu wissen, dass er in der Saison 2000/2001 zehnmal für die erste Mannschaft des Hamburger Sportvereins auflief, bevor er in der Versenkung des Amateurfußballs verschwand.
„Zum erweiterten Kreis dieser U-Nationalmannschaft gehörten übrigens damalige „Talente“, wie Bernd Korzynietz, Enrico Kern und Peer Kluge“, betone ich. Diese Aussage führte jetzt nicht unbedingt dazu, dass es dem Mann besser ging. Daher führte ich die Liste mit echten Schockern für Fußball-Romantiker nicht weiter aus. Wenig später ertönte der Schlusspfiff: 2:0 für Griechenland. Die U21 viel daraufhin auf Platz Drei in der EM-Qualifikation hinter England und den Griechen zurück. Müßig zu erwähnen, dass es nicht zur Qualifikation reichte.

Der Pfiff des Unparteiischen war aber nicht nur für die damaligen Mannschaften ein Schlusspfiff. Auch wir wurden durch das Pfeifen wieder in das Hier und Jetzt zurückgeholt. Gerade rechtzeitig, um das 2:0 für Deutschland zu erleben. Der in der Bundesliga derzeit so stark aufspielende Kevin Volland, schweißte das Spielgerät mit einem satten Rechtsschuss ins kurze Eck. Er ist, wie übrigens über die Hälfte seiner Kollegen bei der U21, Stammspieler bei Bundesligisten. Technisch und taktisch viel besser ausgebildet, als die Generation um das Jahr 2000. Nur folgerichtig, dass die Truppe von Horst Hrubesch nach dem 2:0 Sieg über Montenegro in Wiesbaden mit 9 Punkten und 9:0 Toren auf Platz 1 der Em-Qualifikationsgruppe steht!
„Naja, so mies ist diese Mannschaft wohl doch nicht“, zwinkerte der Mann mir zu und als er gerade gehen wollte, fügte er hinzu „Die Chancenverwertung ließ trotzdem zu wünschen übrig!“

Ein bisschen meckern musste ich dem Mann wohl zu gestehen. Gehört dazu, wenn man auf der Haupttribüne sitzt, dachte ich mir. Insgeheim wusste ich aber, dass ich dem Mann einen großen Spaß bereitet hatte und dass er über die Entwicklung des deutschen Fußballs seit den Reformen nach der EM 2000 mindestens genauso froh ist, wie ich und wahrscheinlich auch der Rest von Fußball-Deutschland.

Aufstellung der U21 im Jahr 2001:

Timo Hildebrand – Manuel Benthin – Paul Freier – Christoph Metzelder – Christian Rahn – Daniel Bierofka – Fabian Ernst – Sebastian Kehl – Sven Müller – Sebastian Schindzielorz -Christian Timm

Aufstellung der U21 gestern, 11. Oktober 2013 in Wiesbaden:
Marc Andre Ter Stegen – Antonio Rüdiger – Matthias Ginter – Shkodran Mustafi – Marvin Plattenhardt – Johannes Geis – Emre Can – Kevin Volland – Amin Younes – Nico Schulz – Philipp Hofmann – Leonardo Bittencourt – Yunus Malli – Andre Hoffmann