Thomas Wark (58) hat von Olympischen Spielen, Weltmeisterschaften und zahlreichen anderen Großereignissen berichtet, seit 1992 kommentiert er Fußball-Länderspiele für das ZDF. Für den Fernsehsender sollte er am Dienstag ebenfalls vom Spiel Deutschland gegen Holland live aus Hannover berichten, bevor das Spiel wegen Hinweisen auf Anschläge abgesagt wurde. Wir haben mit dem erfahrenen Journalisten unter anderem darüber gesprochen, ob sich Sportberichterstattung  durch die Anschlägen von Paris verändern wird, was Zuschauer von Sportjournalisten und Sportlern erwarten dürfen und wie er mit Medien- und privater Kritik in den sozialen Medien umgeht:

sport24-fieber: Herr Wark, von ihrem ZDF-Kollegen Bela Rethy ist eine Geschichte überliefert, nach der Sie beide vor der Fußball-Weltmeisterschaft 1990 (in Italien) in einer kolumbianischen Bar von einer Drogenbande überfallen worden sind. Eigentlich wollten Sie nur ein Portrait des Deutschen Vorrundengegners drehen – war dies das erste Mal, dass sie beruflich in eine brenzlige Situation geraten sind?

Thomas Wark: Das war zumindest das erste Mal, dass ich konkrete Angst verspürt habe. Wir wussten zwar, dass Pablo Escobar (kolumbianischer Drogenhändler), das Land im Griff hatte und auch die Nationalmannschaft mitfinanzierte. Aber es war total schwer, an gehaltvolle Informationen zu gelangen. Wir waren dann auch noch völlig naiv, und sind gleich nach Ankunft in der kolumbianischen Hauptstadt Medellin zu Escobars Villa gefahren, um dort zu drehen. Wir hatten das Stativ noch nicht aufgebaut, da wurden wir bereits angegriffen. Auf dem Marktplatz sind ständig Polizeibusse in die Luft gejagt worden – wir sind selbst mit diesen Bussen herumkutschiert worden. Der ganze Trip war abenteuerlich, die Bar abends war lediglich eine Spitze.

sport24-fieber: Im Alltag berichten Sie oft aus Stadien. Hatten Sie vor oder nach Kolumbien mal Angst bei einer Sportveranstaltung?

Wark: Ich erinnere mich an ein Europapokal-Spiel zwischen Liverpool und dem AS Rom, das muss 1985 oder 1986 gewesen sein. Ich war als Assistent des damaligen NDR-Reporters Peter Jensen mit vor Ort. Nach verrichteter Arbeit sind wir direkt vor dem Stadion in eine Schlacht zwischen Liverpool und Romaanhängern geraten – da flogen Flaschen und andere Dinge durch die Luft. Da hieß es dann nur noch: Kopf einziehen und nichts wie weg. Das war ganz schön knapp. Aber diese Extremsituationen waren zum Glück nur eine Seltenheit.

sport24-fieber: Wenn Sie Extremsituationen ansprechen: Wo haben Sie das Spiel Frankreich gegen Deutschland verfolgt und was hatten Sie für einen Eindruck von der Berichterstattung der ARD? Ihr Kollege Tom Bartels wurde ja von vielen Seiten für seine empathische und ruhige Kommentierung der zweiten Halbzeit – als der Sport in den Hintergrund rückte – gelobt:

Wark: Ich habe das Spiel aus sicherer Distanz vom Sofa aus geschaut, die ARD hatte ja die Rechte an diesem Abend. Tom war super. Ich hätte das auch nicht besser machen können. Aber auch etliche andere Journalisten haben  einen außergewöhnlichen Job abgeliefert. Mein ZDF-Kollege Boris Büchler etwa war mit seinem Schnittmobil nur knapp 300 Meter von dem Ort entfernt, an dem sich einer der Attentäter in die Luft gesprengt hat. Er hat in dieser unsicheren Situation die Nerven bewahrt und in regelmäßigen Liveschalten berichtet. Er hat die ganze Nacht nicht geschlafen und ist mit der Nationalmannschaft morgens gemeinsam nach Deutschland zurückgeflogen. Ich habe ihn selten so blass und fertig erlebt, wie in der Redaktions-Konferenz am Nachmittag.

sport24-fieber: Sie haben direkt am nächsten Tag konferiert beim ZDF?

Wark: Natürlich, das Sportstudio am Abend musste wegen der Anschläge neu geplant werden. Da war Boris natürlich wieder der gefragteste Mann. Wir haben bis in die Nacht durchgearbeitet.

sport24-fieber: Danach galt es sich auf das kommende Länderspiel zwischen der DFB-Elf und den Niederlanden vorzubereiten. Lief das normal ab wie vor jedem anderen Länderspiel? Oder wurden andere Schwerpunkte gesetzt?

Wark: Eigentlich gibt es keinen großen Spagat zu bewältigen, wenn man professionell an das Ganze herangeht und sich nicht von den Emotionen anstecken lässt. Das haben wir dann auch getan. Lediglich die technische Ausstattung war anders als sonst. Wir hatten neben den Übertragungswagen auch noch ein mobiles Übertragungsgerät dabei – das hat sich ja dann auch gelohnt…

sport24-fieber: Sie meinen, weil das Spiel dann doch abgesagt wurde?

Wark: Genau, die Übertragungswagen am und vor dem Stadion wurden dann abgeriegelt, um zu prüfen, ob dort irgendwo Bomben platziert worden sind. Und dann war es wieder am armen Boris Büchler, der mit dem mobilen Übertragungsgerät live zur aktuellen Entwicklung rund um die Absage berichtete.

sport24-fieber: Und Sie und ihre Kollegen?

Wark: Ich war nur als „Fieldreporter“ für Interviews eingeteilt, die entfielen ja dann. Wir hatten das Glück, dass das NDR-Landesstudio Hannover nur 15 Minuten entfernt liegt. Von dort aus lief die Berichterstattung von Kathrin Müller-Hohenstein weiter. Ihr zitterten beim Verlassen des Stadions in Hannover – verständlicherweise – aber ganz schön die Knie. Ich bin später mit vielen der Zuschauer zurück zum Hauptbahnhof. Das lief trotz der Angst sehr ruhig und geordnet ab. Ich hatte bereits Mittags von der Tagung der DFB-Landesverbände berichtet. Die DFB-Affäre ist seit vier Wochen mein Thema.

sport24-fieber: Freut es Sie dann, dass so viele Details über Schmiergeldzahlungen im Zuge der WM-Vergabe ans Licht gekommen sind, oder ist es eine undankbare Aufgabe?

Wark: Zumindest ist es eine andere Art der Sportberichterstattung als über ein Sportevent, das an- und abgepfiffen wird und bei dem ich wenig später einen Bericht zusammenschneide. Ich verbringe viel Zeit vor Hotels und warte auf mögliche Gesprächspartner. Der DFB und insbesondere Wolfgang Niersbach sind ein stückweit auch selbst schuld an der Misere. Hätte der Verband offen kommuniziert, nach dem Motto: „Hört zu, es gibt Ungereimtheiten mit Zahlungen rund um die WM-Vergabe in Deutschland. Das war nicht anders zu lösen. Wir setzen nun eine unabhängige Kommission ein, die das lückenlos aufklären wird“, hätte man der ganzen Diskussion den Wind aus den Segeln genommen. Doch diese ganzen Versuche der Vertuschung und diese mysteriöse Pressekonferenz von Wolfgang Niersbach haben die Journalisten natürlich heiß gemacht – und dann versuchen sie so viel wie möglich herauszubekommen –  und buddeln ähnlich tief wie kleine Goldgräber, bis sie etwas finden.. Ich zum Beispiel bin mit Franz Beckenbauer per Du, aber das darf ich in meiner jetzigen Berichterstattung nicht berücksichtigen.

sport24-fieber: Sie kennen auch einige der Nationalspieler, die jetzt zweimal in eine gefährliche Situation geraten sind. Hätten Sie sich im Nachgang klarere Positionierungen vom ein oder anderen gewünscht?

Wark: Nein, ich glaube, dass einige zu viel von den Spielern verlangen. Ich erwarte etwa von einem Mesut Özil nicht, dass er mir die Zusammenhänge und Probleme zwischen der westlichen Welt und dem IS erklärt. Ändern würde das sowieso nichts.

sport24-fieber: Und wie sieht das mit Journalistenkollegen und ihnen selbst aus – darf der Zuschauer von einem Sportreporter eine journalistische Einschätzung erwarten, die über das sportliche Ereignis hinausgeht?

Wark: Wenn es richtig in die Tiefe gehen soll und komplizierte Zusammenhänge über die IS-Kämpfer erklärt werden müssen, das wäre zu viel verlangt. Aber, ich sage zu meinen jungen Kollegen immer, dass sie sich über den reinen Sport hinaus informieren – Allgemeinbildung schadet in unserem Job nicht. Der Fußball zum Beispiel ist in der Mitte unserer Gesellschaft elementar geworden, ein nicht wegzudenkendes Event und die Zuschauer verlangen und haben auch das Recht, dass ihnen ein Reporter etwas mehr bietet als nur die Aufstellung und die taktische Ausrichtung. Vorausgesetzt, die Situation passt oder verlangt es sogar.

sport24-fieber: Liga-Präsident Reinhard Rauball hat nach den Anschlägen in Paris und dem abgesagten Länderspiel in Hannover gesagt, dass das den Fußball grundlegend verändern wird: Gilt das auch für die Berichterstattung?

Wark: Herr Rauball hat das unter den direkten Einflüssen dieser schrecklichen Vorkommnisse gesagt. Ich glaube, dass das grundlegend für den Journalismus nicht gilt. Ich habe sogar die Hoffnung, dass es nach zwei, drei Bundesliga-Spieltagen abflacht und dann nicht mehr so intensiv darüber gesprochen wird. Wenn erst mal der Ball rollt, ist alles weitesgehend normal und die Menschen können mitfiebern und vergessen ihre Sorgen. So war es auch gestern auf Schalke beim Spiel gegen Bayern München. Auch ich habe normal meine Arbeit gemacht, klar haben wir die Schweigeminute am Anfang auch gezeigt, doch dann stand der Fußball im Vordergrund. Anders wäre es gewesen, wenn plötzlich ein Böller eines Fans hochgegangen wäre. Dann wäre auch ich zusammengezuckt und die Stimmunfg wäre vielleicht gekippt.

sport24-fieber.de: Momentan wird sehr viel über die Terrorgefahr berichtet, viele sind mit der Art und Weise nicht einverstanden. Auch Sie haben diese Woche via Facebook etwa Kritik an den ARD-Brennpunkten geübt. Können Sie die Konsumenten also verstehen?

Wark: Ich erwarte von Journalisten, dass sie ein objektives und klares Bild von der jeweiligen Situation skizzieren und nicht zu stark auf Emotionen setzen. Wenn ich mir die Brennpunkte der ARD in den vergangenen Tagen ansehe, dann hat der Sender mit seiner Bildauswahl und der Berichterstattung eben sehr stark auf Emotionen gesetzt – zudem waren die gegebenen Informationen nicht immer richtig. Es wird aber allgemein zu viel berichtet, da nehme ich das ZDF nicht aus. Es ist doch so: Erst kommen die ausführlichen Nachrichten, dann eine Sondersendung. Es ist schwer, sich da dann noch abzugrenzen und Neues zu bringen, ohne zu emotional zu wirken. Dass das durchaus möglich ist, hat das ZDF-Spezial zum Rücktritt von Wolfgang Niersbach gezeigt. Da hatten alle einen Sahnetag. Wir hatten rasch, fundierte Meinungen und Aussagen und konnten die Anhand von Interviews glaubwürdig präsentieren.

sport24-fieber: Trotzdem wird die Arbeit der Journalisten branchenübergreifend vor allem in den sozialen Netzwerken stark kritisiert. Können Sie das nachvollziehen und gibt es in der Zukunft eine Art Musterlösung für ordentliche Berichterstattung?

Wark: Die eigentliche Problematik liegt darin, dass in Facebook oder Twitter jeder Journalist spielen darf. Wenn man etwas postet, ist das ja auch eine Veröffentlichung. Oftmals hat das etwas feiges, wenn es anonym mit falschen Profilen geschieht. Klar ist alles und damit auch die Berichterstattung schneller geworden.
Deswegen ist es wichtig, dass es auch weiterhin Journalisten gibt, die ernsthaft und fundiert berichten. Dass das jeweilige Ergebnis dann nicht jedem gefällt, liegt in der Natur der Sache. In den sozialen Medien muss man sich halt ein dickes Fell zulegen. Mich trifft es nicht, wenn ich da angegangen werde, wenn ich mich dort zum Beispiel für Flüchtlinge einsetze. Dann wird man ja gleich als „Gutmensch“ beschimpft und das ist noch harmlos. Ganz wichtig ist, dass sich junge Menschen und vor allem junge Menschen davon nicht beeinflussen lassen. Konstruktive Kritik oder wenn mir Kollegen schreiben, wenn ihnen etwas nicht gefallen hat, das nehme ich sehr gerne an.

sport24-fieber: Herr Wark, vielen Dank für das Interview und alles Gute für die Zukunft.