Tatort Schwechat, ein Stadtteil Wiens, Sonntag-Nachmittag: Die Zählgeräte der Unparteiischen im Multiversum zeigen ein 8:5 im zweiten Satz des Europameisterschafts-Finals zwischen dem deutschen Dimitrij Ovtcharov und dem Weißrussen Vladimir Samsonov an. Letzterer zeigt nun mit einem einzigen Zauberschlag, was die Faszination Tischtennis ausmachen kann. Einen vom Deutschen mit viel Rotation gespielten und durch einen Netz-Roller quasi unberechenbar gewordenen Ball, spielt der dreimalige Europameister Samsonov, um das Netz herum auf die Tischseite seines Kontrahenten zurück. Der Ball tickt gar nicht mehr richtig auf. Es geht ein Raunen durch die, mit nur ein paar 100 Zuschauern, nicht gerade üppig besetzte Halle. Samsonov wird dieses Tischtennis-Match am Ende deutlich gegen einen bärenstarken Kontrahenten mit 0:4 verlieren, mir ist er mit diesem einen Schlag aber in Erinnerung geblieben.

Denn so elegant und gefühlvoll dieser eine Ball auch gespielt wurde, so krass deckte er die Schwächen der schnellsten Rückschlagsportart der Welt auf. Welcher Zuschauer kann Schwierigkeit und Ausführung dieses Schlages ein und wertschätzen, wenn er oder sie selbst gar kein Tischtennis spielt? Die Antwort lautet: kaum bis gar nicht.
Effet und Rotation werden durch die Fernsehbilder einfach nicht ausreichend eingefangen. Selbst wenn man direkt vor Ort am Geschehen teilnimmt, fällt die Beurteilung schwer. Deshalb sind von den paar 100 Zuschauern in der Wiener Halle auch rund 98% Tischtennis-Spieler. Deshalb geht das Raunen durch die Ränge. Deshalb war auch die Westfalen-Halle in Dortmund 2012 während der Team-Weltmeisterschaft mit 11.000 Menschen restlos ausverkauft. Die Faszination Tischtennis lebt nämlich, aber nur in der „Szene“. Auch in Dortmund waren so deutlich über 90% der Anwesenden selbst aktive oder ehemalige Tischtennis-Spieler.
Diese „Szene“ ist demnach auch deutlich größer, als der normale Sportbegeisterte wahrscheinlich annimmt. Allein dem deutschen Tischtennis-Bund (DTTB) gehören fast 10. 000 Vereine mit 670.000 Mitgliedern an. Wer sich mal die Mühe machen möchte und diese Zahlen mit denen des Basket- oder Handball vergleicht, weiß dass sich dieser Sport nicht verstecken muss.

Wo wir wieder bei den Europameisterschaften angelangt wären. Denn hier hat sich der Tischtennis-Sport gerade zwei Wochen lang mehr als erfolgreich versteckt. Bereits vor über einer Woche wurden beide Auswahl-Teams des DTTB Mannschafts-Europameister. Einmalig in der 55-jährigen Turniergeschichte. Doch wer hat dies eigentlich mitbekommen? Wer tischtennisbegeistert ist, weiß sich zu helfen. Die Fachpresse auf www.tischtennis.de oder www.mytischtennis.de liefern ordentlich und zeitnah ab. Doch wer nicht gerade das öffentlich/rechtliche österreichische Fernsehen empfing, schaute in die Röhre. Das ganz schlaue Fach-Publikum wusste sich aber auch hier zu helfen und wich auf den Online-Stream www.laola1.tv aus. Um diese Medien zu nutzen, müsste man als einfacher Sportbegeisterter aber erst einmal Wind davon bekommen, dass eine EM vor der Tür steht. Dies war nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. (Wie gesagt, ich rede nicht von der Fach-Presse)

So holte der DTTB eine Medaille nach der anderen und keiner bekam es so richtig mit. Dimitrij Ovtcharov, nach der krankheitsbedingten Absage von Timo Boll Deutschlands Nummer eins, krönte sein überragendes Turnier mit dem Gewinn des Einzeltitels. Bastian Steger, der Teamkollege Ovtcharov als einziger im Halbfinale beim 2:4 etwas fordern konnte, sicherte sich Bronze. Die deutschen Youngster Sabine Winter und Petrissa Solja holten überraschend Gold im Doppel.

Erst zwei Stunden, nachdem das komplette, zweiwöchige Turnier beendet war, kam das deutsche öffentlich/rechtliche Fernsehen seinem Bildungs-Auftrag nach. In der ZDF-Sportreportage und wenig später in der ARD-Sportschau gab es jeweils einen fünf minütigen Kurzbericht des Finals von Ovtcharov gegen Samsonov, in dem ich eben jenen besagten Traum-Ball des Weißrussen entdeckte. Als selbst in der ARD-Tagesschau um 20 Uhr ein kurzer Bericht über Ovtcharovs Gold-Medaille gesendet wurde, war ich kurzzeitig sogar begeistert. Die Aufbruchstimmung hielt allerdings nur wenige Sekunden an, bis mir bewusst wurde, dass die EM längst wieder Geschichte ist.

Unterm Strich stehen 6(!) Medaillen in Schwechat bei den Titelkämpfen in Österreich. Mich hat diese Leistung der „Chinesen Europas“ mal wieder beeindruckt. Umso mehr macht es mich traurig, dass quasi Niemand des breitgefächerten deutschen Sport-Publikums daran teilhaben konnte.
Doch bevor ich noch zu sehr in Selbstmitleid, über die wohl am meisten unterschätzte Ballsportart der Welt verfalle:
Die Basketball-EM vor wenigen Wochen wurde ebenfalls fast ausschließlich auf einem Onlinestream von www.spox.com übertragen, der sich mit den Öffentlich/Rechtlichen abwechselte. Nach dem frühen Ausscheiden der deutschen Auswahl, klinkte sich die ARD aus und ließ Spox mit der Endrunde alleine. Frank Buschmann, bekannter Sportkommentator und bekennender Basketball-Fanatiker kämpfte also ganze zwei Wochen lang um Click-Zahlen für seine Übertragungen auf Spox.
Zeitgleich übertragen Sportsender wie Sport1 lieber Fußballspiele der vierten(!) Liga. Erst gestern übertrug der Münchener Sender 90 Minuten lang das Punktspiel der Regionalliga Südwest, Kickers Offenbach gegen Hessen Kassel. Wie viele Stunden Snooker oder Darts gesendet werden, dies will ich hier gar nicht nochmal betonen.
Ich persönlich finde das mehr als ungerecht, aber wer will den Sendern den strikten Gang nach Quoten verübeln. Schlussendlich sitzen alle Sportbegeisterteren in einem Boot. Die Basketballer kämpfen um Sendeplätze, die Handballer kämpfen um Sendeplätze und der Tischtennis-Sport kämpft überhaupt erst mal um Präsenz in den Massen-Medien.
Marketing-technisch hinkt man aber noch weit hinterher. Dabei ist der DTTB sportlich mit Abstand am Weitesten und sahnt mit Frontmann Ovtcharov kräftig Medaillen ab. Daran konnte auch der Zauberschlag von Wladimir Samsonov nichts ändern.

Wer sich davon mal selbst überzeugen möchte, Im November sind die German Open in Berlin. Mehr Infos hierzu unter:
http://www.tischtennis.de/aktuelles/meldung/14716

Hier noch ein interessanter Blog-Eintrag von Frank Buschmann, zur TV-Vermarktung der Basketball Euroleague.
http://frank-buschmann.com/?page_id=5