Roger Federer ist ein Gentleman. Ein echter Vorzeigeathlet, auf und abseits des Tenniscourts. Das wird nach seiner Karriere wohl mindestens genauso in Erinnerung bleiben, wie die unzähligen Titel, die er auf der ATP-World Tour seit seinem ersten Turniererfolg 2001 in Mailand ergattert hat. Darunter sind 17 Grand-Slams, ganze 6 Mal hat er die inoffizielle Tennis-Weltmeisterschaft gewonnen: Beides unerreichte Werte.

Auch aufgrund der nackten Zahlen fällt es den meisten Experten nicht schwer, den Schweizer als den wohl besten Tennis-Spieler aller Zeiten zu deklarieren. Wer seine einzigartige Ästhetik auf den Plätzen dieser Welt schon mal aus nächster Nähe aufsaugen konnte, der behauptet sowieso meistens nichts anderes mehr.
Und so erarbeitete sich Federer über die vielen Jahre an der Spitze des Tennis-Zirkus einen Nimbus des „nahezu Unbesiegbaren“. Mit dem Selbstverständnis und dem Selbstvertrauen eines echten Champions gewann er so auch mal Matches, die ein anderer Spieler mit derselben Tagesform verloren hätte. Nicht so „Fedex“, denn nur wenige Gegner durchdrangen diesen Nimbus und packten auch wirklich zu, wenn sich die seltene Chance auf einen Sieg gegen die langjährige Nummer eins ergab.

Von dieser Aura ist im Kalenderjahr 2013 nicht mehr viel übrig geblieben. Gemessen an den Ansprüchen des mittlerweile 32-jährigen, ein gewöhnungsbedürftiges Jahr. Für die vielen Fans, für die Experten vor und hinter den Kameras und am meisten wohl für Federer selbst.
Früh scheiterte er bei den vier Grand-Slams. Der Tiefpunkt war sicherlich das Zweitrundenaus bei seinem Lieblingsturnier in Wimbledon, wo er dem ungesetzten Ukrainer Sergiy Stakhovsky glatt in drei Sätzen unterlag. Das nur eine Woche nach seinem einzigen Turniererfolg 2013 in Halle.
Spätestens seit diesem Zeitpunkt ist der Respekt seiner Gegner auf dem Platz nur noch Geschichte. Wie gesagt, Federer war und ist ein Gentleman – gehört zu den anerkanntesten und beliebtesten Akteuren auf der Tour. Wir werden also keinen Spieler erleben, der in irgendeine Kamera das Ende der Ära Federer beschließen wird.
Dafür sorgen momentan schon genug Journalisten. Zu alt, zu wenig Training, Motivationsprobleme. Inzwischen muss er offene Briefe an sich lesen, die ihm nahelegen, doch bitte sofort zurückzutreten.
Das Profigeschäft ist schnelllebig, das ist nicht nur im Tennis so. Doch Roger Federer ist nicht irgendein Tennisprofi, nicht irgendein Grand Slam-Gewinner. Er ist verdammt noch mal Roger Federer!
Er ist ein stolzer Mann. Einer, der die letzten Jahre viel Neues erlebt hat. Er ist jetzt Vater von älter werdenden Zwillingen, hat einer ganzer Menge anderer Verpflichtungen (z. B. die Roger Federer-Foundation – seine Wohltätigkeitsorganisation für benachteiligte Kinder in Südafrika) einen größeren Stellenwert zu kommen lassen, als in den Jahren davor. So kamen Niederlagen in frühen Turnierphasen gegen Spieler jenseits der Top 30 vielleicht gar nicht so unerwartet. Schmerzhaft waren sie allemal.

Nicht falsch verstehen: Federer wäre einer der letzten, dem ich unterstellen würde, er sei kein absoluter Voll-Profi. In diesem Fall wäre Federer schon längst zurückgetreten.
Trainiert hat er ja trotzdem unter besten Voraussetzungen und das nicht mit irgendwem. Paul Annacone, der Ex-Trainer des ehemaligen Tennis-Giganten Pete Sampras sollte ihn die taktischen Finessen vermitteln, um die Branchen-Primi Novak Djokovic und Rafael Nadal langfristig wieder angreifen zu können. Sicherlich war der Plan nicht, in drei Jahren bloß einen weiteren Grand-Slam-Titel zu gewinnen und zur Nummer eins zurückzukehren, wie Federer kürzlich nun sehr wohlwollend bei der Trennungsverkündung in dessen Arbeitszeugnis schrieb.
Federer ist niemand, der nachtritt. Das gehört sich nicht für einen Gentleman. Trotzdem lief wohl etwas Grundlegendes schief. Einen Einfluss des Amerikaners auf Federers Spiel war zu selten zu erkennen.
Die vielen unerwarteten Niederlagen der letzten Wochen und Monate haben Kraft gekostet, keine Frage. Sie berechtigen aber noch lange nicht, den ehemaligen Weltranglistenersten abzuschreiben. Im Gegenteil: Gegner und Experten sollten sich wappnen. Nächste Woche steht sein Heim-Turnier in Basel vor der Tür, das er schon mehrmals gewinnen konnte. Das Schweizer Publikum wird ihn wärmstens empfangen und ihn vermutlich zu mehr Selbstvertrauen „pushen“. Was mit dem nötigen Vertrauen in sein Können bei Federers spielerischen Anlagen möglich ist, muss ich keinem Sportler genauer erklären.

Mit einem guten Abschneiden würde „Fedex“ Punkte sammeln, um seine Teilnahme an den „Barclays ATP World Tour Finals“ Anfang November in London nicht zu gefährden. Federer beim Turnier der besten acht Spieler der Welt nicht dabei? Eigentlich nicht vorstellbar!
Doch selbst für dieses Szenario bin ich für das Tennis-Jahr 2014 optimistisch. Federer wird erstarkt aus dieser Situation hervorkommen. Denn einen Gentleman schreibt man besser nicht so leicht ab. Erst recht nicht einen Roger Federer.